Verlangen
Lucas’ Innerstem ertönte eine verspätete Alarmglocke. Er betrachtete Victorias erfreuten, selbstgefälligen Ausdruck, und er wurde erfüllt von einem gehässigen Gedanken, den verdrängt zu haben er geglaubt hatte.
»Ich war immer ein großer Anhänger wissenschaftlicher Studien«, sagte er grimmig.
»Oh, Lucas, wie kann ich Ihnen jemals danken?« Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und drückte ihn. »Sie sind immer so gut zu mir.«
Er fluchte stumm und ergab sich ihrer offensichtlichen Freude. Allmählich dämmerte ihm, daß es ihm wohl nie gelingen würde, Victoria einen Wunsch abzuschlagen. Es wäre von Vorteil, wenn er diese Schwäche niemals vergessen würde.
Zögernd löste Lucas ihre Arme von seinem Hals und küßte ihre Nasenspitze. »Dann ist es also abgemacht. Nun gehst du wohl besser zurück ins Haus, meine Süße. Ich glaube, ich höre eine Kutsche.«
»Oje, das ist wohl Tante Cleo. Ich muß gehen.« Sie drehte sich abrupt um, wobei der Mantel um ihre feuchten Pantoffeln wehte. Dann wandte sie sich noch einmal mit einem Stirnrunzeln an Lucas. »Passen Sie auf Ihr Bein auf, wenn Sie über die Mauer steigen, Lucas. Ich mache mir Sorgen wegen der ganzen Kletterei. Sie tut Ihnen bestimmt nicht gut.«
»Ich bin geneigt, dir zuzustimmen.« Das verdammte Bein schmerzte bereits von der ersten Kletterpartie. »Ich freue mich auf die Nacht, in der das Übersteigen dieser Mauer nicht mehr notwendig sein wird. Gute Nacht, Vicky.«
»Wegen unserer Pläne für unser erstes, äh, Treffen...« Ängstlich sah sie in Richtung der Gewächshaustür, als auch sie die Kutsche hörte.
»Mach dir keine Sorgen, Vicky. Ich werde alles arrangieren.«
»Werden Sie?«
Er saß bereits auf der Gartenmauer und blickte auf sie herab. Er unterdrückte einen Fluch. »Ja, Vicky. Das ist schließlich meine Aufgabe, nicht wahr?«
»Sie werden es mich wissen lassen, wenn Sie die Details festgelegt haben?« rief sie hoffnungsvoll.
»Glaube mir, meine Liebe, du wirst es als erste erfahren.«
Er sprang von der Mauer. Sein Schenkel protestierte heftig, und er hinkte stärker als gewöhnlich, als er sich in die Straße zurückbegab, in der seine Kutsche stand. Auf die eine oder andere Art mußte er dieser Kletterei ein Ende machen.
Lucas spähte auf die Straße. Er entdeckte niemanden. Als er um die Ecke bog, prallte er mit dem Mann zusammen, der mit einem Messer dort stand.
Der Straßenräuber schien ebenso überrascht zu sein wie er. Offensichtlich hatte er in der Dunkelheit herumgelungert und auf ein Opfer gewartet, Lucas jedoch nicht gehört. Doch er reagierte umgehend, indem er die Klinge des Messers nach vorne stieß.
Lucas tauchte bereits zur Seite. Als er merkte, wie sein verletztes Bein nachgab und er hart auf sein Knie fiel, entfuhr ihm ein Fluch. Er zwang sich jedoch, den Schmerz zu ignorieren, und streckte die Hand nach dem Arm des Angreifers aus.
Vor Wut und Überraschung schrie der Mann, als Lucas auf seinen Rücken rollte und fest zupackte. Der Angreifer krachte gegen die Backsteinmauer des dunklen Eckhauses, und das Messer fiel auf das Pflaster. Lucas rollte weiter und kam auf die Knie. Dann stolperte er auf die Beine, wobei er sich mit einer Hand an der Backsteinmauer abstützte. Roher Schmerz wütete in seinem linken Bein.
Der Straßenräuber machte sich bereits aus dem Staub; nur seine Schritte hallten noch in der Dunkelheit. Er ließ sogar das Messer liegen.
»He, Sie«, rief der Kutscher, der die Straße heraufgestapft kam, nachdem er etwas verspätet gemerkt hatte, daß sein Passagier in Schwierigkeiten steckte. »Was is’ los? Was is’ passiert, Sir? Sin’ Sie verletzt?«
»Nein.« Lucas sah hinab auf seinen teuren Frack und fluchte erneut. Für das verdammte Ding hatte er gerade ein Vermögen bezahlt, und nun würde er einen neuen kaufen müssen.
»Wohl irgend so’n Straßenräuber, der versucht hat, ’nem Gentleman die Börse zu klau’n«, erklärte der Kutscher, während er sich nach dem Messer bückte. »Sieht gefährlich aus, das Ding. Der Typ hat’s ernst gemeint, oder?«
»Ja«, sagte Lucas. »Doch ich bin nicht ganz sicher, worauf er es abgesehen hatte.«
»Heutzutage ist niemand mehr sicher auf der Straße«, bemerkte der Kutscher. »Sie sin’ echt gut mit ihm fertig geworden, Sir. Ich hab’ gesehen, wie Sie ihn aufs Kreuz gelegt haben. Das ham’ Se bestimmt auf der Militärakademie gelernt, oder?«
»Nein, ich habe diese Dinge auf der Straße gelernt.« Lucas begab sich in
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