Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
Vom Netzwerk:
er mich gar nicht gehört hatte. Ich sprach lauter: »Es tut mir so leid, Sagan. Ich habe … es nicht so gemeint. Ich wusste ja nichts davon, wirklich nicht. Sonst hätte ich es nie gesagt … es tut mir leid. Ich wollte nicht in dieser Wunde bohren. Das war … grausam.«
    Ich sah, wie er seine Finger ausstreckte, sie dann wieder zu einer Faust ballte und abermals streckte. Dann drehte er sich endlich um.
    »Was ist los mit dir?«, fragte er,
    »Du würdest mich verstehen, wenn …«
    »Ich wüsste? Weißt du, Emma. Langsam glaube ich, es gibt überhaupt keinen Grund dafür, dass du hier bist. Du bist einfach da. Das ist alles. Du wolltest nicht mehr zu Hause sein. Und da dir irgendwann langweilig wurde, hast du jemanden mit hineingezogen in dein kleines Abenteuer. Habe ich recht?«
    »Ich kann nicht glauben, was du gerade gesagt hast.«
    Jetzt war es an mir, mich abzuwenden. Ich entfernte mich. Sagan kam hinter mir her und griff nach meinem Arm. Als ich mich befreite, schleuderte ich Sagan gegen die nächste Mauer. Damit hatte er nicht gerechnet.
    Abermals holte er mich ein. Ich legte eine Hand auf seine Brust und schob ihn zurück. Wieder flog er mit voller Wucht gegen die Mauer.
    Ich ging weiter, ohne mich noch einmal umzudrehen. Ich hatte es geschafft. Das Beste, was mir je widerfahren war, hatte ich ruiniert. Ich hatte es zerstört. Offenbar war ich zu nichts anderem zu gebrauchen, als dazu, Dinge zu zerstören. Vielleicht hatte Lena Unrecht. Vielleicht war ich doch eine perdu .
    Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Vielleicht sollte ich das Raumfahrtzentrum verlassen. Woanders hingehen. Das war nicht der einzige Ort, an dem man sich verstecken konnte. Vielleicht würde Moreau mich nie finden. Ich könnte sogar …
    Jemand kam mir entgegen.
    Es war ein Wachmann. Ein kräftiger älterer Kerl mit blauer Jacke und Kappe, die wie eine offizielle Uniform aussahen. Eine große, schwarze Handfeuerwaffe war an seinem Hosenbund befestigt.
    Ich hätte ihn schon viel früher sehen und hören müssen, aber der Streit mit Sagan hatte mich abgelenkt. Der Wachmann war keine dreißig Meter entfernt. Ich war tot. Ich war tot.
    In wenigen Sekunden würde ich nicht mehr zu übersehen sein. Panisch tat ich, was mir als Erstes in den Sinn kam. Ohne an meine Rippen zu denken, nahm ich zwei Schritte Anlauf und sprang ab, flog förmlich an dem Gebäude hinauf, griff nach der Regenrinne und schwang mich aufs Dach.
    Als ich auf den Wachmann hinunterblickte, ging er einfach weiter, nichts war geschehen. Gott sei Dank . Er hatte mich nicht bemerkt und schaute stur geradeaus. Dann sah ich Sagan.
    Reglos stand er auf dem Gehsteig und sah hinauf. Zu mir hinauf. Er hatte mich sehr wohl gesehen.
    Ich lief zu meinem Unterschlupf zurück, kletterte jedoch nicht den Turm hinauf. Stattdessen hastete ich in den Bunker, riss mir die Kleidung vom Leib und warf sie auf den schmutzigen, kalten Boden. Schleuderte meine Schuhe in die Ecke. Drehte den Hahn voll auf und schleuderte mir Wasser auf den Körper. Es war eiskalt, doch das war mir völlig egal. Eine Handvoll nach der anderen ließ ich auf meine Haut klatschen, auch das Gesicht bekam etwas ab.
    Ich wollte mich reinigen. Alles abwaschen. Als säße der Vampir in mir auf der Haut. Ich wusste, dass es unmöglich war, aber ich konnte nicht anders, als es zu versuchen. Ich rieb und schrubbte und schleuderte mir immer wieder kaltes Wasser ins Gesicht, auf die Arme, den Bauch, überallhin.
    Dabei redete ich mit mir selbst, ohne wirklich zu wissen, was ich sagte. Ich bin ein Monster, eine Missgeburt, ein Monster, eine Missgeburt, ein Monster, eine Missgeburt, Monster, Missgeburt, Monster, Missgeburt …
    Irgendwann ließ ich mich an der Wand hinabgleiten und blieb im Wasser sitzen. Der Hahn lief noch immer und der Strahl landete auf meinen Beinen. Ich zog sie an und kauerte mich zusammen. Den Kopf zwischen den Knien hörte ich nichts als das Rauschen des Wassers, das mein Schluchzen übertönte.
    Irgendwann ließ ich mich auf die Seite fallen. Das Wasser wurde immer tiefer, bis mein Ohr umspült war und das Haar ums Gesicht trieb.
    Mir war es egal geworden, was mit mir geschah. Vollkommen egal. Ich war es gewohnt zu kämpfen, doch in diesem Kampf fehlten mir die Mittel und Wege. Ich war machtlos.
    Das Wasser rauschte noch immer. Lange Zeit bewegte ich mich nicht. Nie mehr wollte ich mich bewegen. Wozu?
    Ich schloss die Augen und versuchte so zu tun, als wäre ich Teil des Wassers. Dann würde

Weitere Kostenlose Bücher