Verletzlich
denkt sich immer solche verrückten Sachen aus.«
»Aber den Horton hat sich Dr. Seuss nicht ausgedacht. Horton ist ein Elefant und Elefanten gibt es wirklich. Ich habe sie im Zoo gesehen.«
»Aber gibt es sprechende Elefanten? Außerdem sitzt Horton auf einem Ei und brütet es aus!«
Manda sah mich an, als wäre ich schwer von Begriff. »Das ist doch nur für die Geschichte, aber die Hose …«
»Niemand ist in der Hose.«
»Kein Geist?«
»Das sieht auf den Bildern nur so aus. Es soll so aussehen, als wäre sie lebendig, aber es bleibt eine Hose. Das soll … ein Rätsel bleiben. Niemand soll wissen, wie die Hose funktioniert. Deshalb ist die Geschichte so gut.«
»Wie das Geheimnis, das du mir gezeigt hast?«
»Welches Geheimnis?«
»Dass du so viel Kraft hast?«
Insgeheim fluchte ich. »Na ja, kann man so sagen. Das ist auch ein Rätsel. Deshalb muss es geheim bleiben.« Ich legte den Finger auf die Lippen.
Sie schlang die Arme um meinen Hals und flüsterte mir dann ins Ohr: »Flieg mit mir fort, Emma. Bring mich fort von der blassgrünen Hose.«
Ich drückte sie fest an mich. »Ich kann nicht fliegen, du Dummerchen.« Wirklich nicht? Sicher wusste ich es nicht. Schließlich hatte ich es noch nie ausprobiert. Schluss damit.
»Aber …«
Ich zog sie von meinem Schoß und stand auf, um sie wieder ins Bett zu bringen. Doch sie ließ mich nicht gehen. »Darf ich nicht noch ein bisschen fernsehen?«
»Du musst aber schlafen.«
»Nur noch ein ganz kleines bisschen, damit ich nicht mehr an die Hose denken muss.«
Also machten wir es uns noch einmal auf dem Sofa bequem und schauten die Sendung über die Fledermäuse an. Fünf Vampirfledermäuse hoppelten nachts um die Beine eines Schweins herum. Ich hätte nie gedacht, dass sie sich so vorwärtsbewegten. Irgendwie wirkte es beunruhigend, wie sie das Schwein hüpfend umzingelten. Am Schluss kletterten sie an dem Schwein hinauf und setzten sich auf dessen Rücken fest.
»Vampirfledermäuse haben Wärmesensoren in der Nase«, teilte der Sprecher den Zuschauern mit. »Im Infrarotlicht kann man genau sehen, wonach die Fledermäuse suchen.«
Plötzlich leuchtete der Bildschirm, auf dem vorher alles bei Nacht zu sehen gewesen war, in Gelb, Orange und Rot mit kleinen weißen Punkten dazwischen auf.
»Nach diesen weißen Punkten suchen die Fledermäuse und ihre Nasen führen sie direkt dorthin. Das sind die Stellen, an denen sie am leichtesten an Blut kommen«, erklärte der Sprecher.
Jede Fledermaus suchte sich einen weißen Punkt und biss zu. Unter Zuhilfenahme ihrer langen Zunge, die in der Mitte eine Kerbe hatte, saugten sie das Schweineblut in ihre spitzen Mäuler. Plötzlich kämpften drei Fledermäuse um eine besonders gute Stelle. »Wie Minenarbeiter, die auf eine Goldader gestoßen sind«, verglich der Sprecher. »Warum wacht das Schwein nicht auf? Weil die Zähne einer Vampirfledermaus messerscharf sind. So scharf, dass das Schwein es nicht einmal merkt. Vampirfledermäuse trinken bis zu einer halben Stunde von einem Opfer. Wenn diese fünf Fledermäuse fertig sind, wird jede von ihnen knapp vier Liter frisches, warmes Schweineblut zu sich genommen haben.«
Mir wurde übel. Dabei hatte ich keine Ahnung, warum. Normalerweise hatte ich keinen empfindlichen Magen.
»Jetzt ist aber Schluss«, verkündete ich.
»Aber die Sendung ist doch noch gar nicht zu Ende!«, jammerte Manda.
»Weißt du, was viel schlimmer ist als eine blassgrüne Hose, die sich bewegt?«, fragte ich sie.
»Was denn?«
»Mom, wenn sie nach Hause kommt und sieht, dass du noch nicht im Bett bist. Hopp, hopp!«
Sie rannte in ihr Zimmer und ich deckte sie zu. Dann stellte ich das Sneetches-Buch ins Regal zurück, in der Hoffnung, dass sie die Hose bald vergessen würde. Als ich wieder im Wohnzimmer war, schaltete ich um. Doch mir war so schlecht, dass ich mich fünf Minuten später ins Bett legte.
Bis meine Mutter nach Hause kam, hatte ich mich bereits drei Mal übergeben. Seit Jahren hatte ich kein Magen-Darm-Problem mehr gehabt. Meine Mutter schob es auf das Huhn mit italienischer Soße, das ich zum Abendessen aufgewärmt hatte, aber Manda hatte auch davon gegessen und ihr ging es gut.
Ich befürchtete, dass etwas anderes für meinen Zustand verantwortlich war. Je stärker die Schmerzen wurden, desto miserabler fühlte ich mich. In mir wuchs der Verdacht, dass es eine Verbindung zwischen meiner Übelkeit und den Veränderungen gab, die mit mir vonstattengingen. Es war,
Weitere Kostenlose Bücher