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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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»Größtenteils jedenfalls.«
    »Ich habe dir ja bereits gesagt, dass ich nicht wirklich obdachlos bin. Ich bin nur vorübergehend … untergetaucht.«
    »Und du willst mir nicht sagen, weshalb du untertauchen musstest? Okay, lass mich raten. Häusliche Gewalt. Ein unheimlicher Vater. Probleme mit der Polizei?«
    Ich schüttelte den Kopf, ohne dass es wie ein Nein aussah. Vielmehr bedeutete es: »Das geht dich nichts an.«
    »Trotzdem würde ich gern wissen, wie du auf das Gelände hier gelangt bist.« Sagan ließ nicht locker. »Das ist nicht der sicherste Ort der Welt, aber durch eins der Tore kann man nicht reinkommen. Nicht ohne Karte und Fahrzeug. Du musst also irgendwo über den Zaun geklettert sein. Oder du hast den Alligatorensumpf durchquert. Aber du bist überhaupt nicht …«
    »Alligatoren?«
    »Hunderte. So groß wie Mosasaurus. Hast du je die Serie Primeval – Rückkehr der Urzeitmonster gesehen?«
    »Erzähl keinen Quatsch«, schimpfte ich.
    »Na gut, nicht ganz so groß. Wahrscheinlich nur ehemalige Haustiere, die jemand aus dem Autofenster geworfen oder die Toilette runtergespült hat. Aber vor einigen Jahren haben sie den Kopf eines Mannes dort draußen gefunden. Ungelogen.«
    »Ja, ja.«
    »Man hat nie herausgefunden, ob der Alli ihn sich vorher oder nachher geholt hat.«
    »Vor oder nach was?«
    »Dem Drogendeal. Vielleicht bist du durch den Fluss gekommen – das wäre eine Möglichkeit. Aber ich glaube, dort gibt es auch Zäune. Ich war schon länger nicht mehr in der Ecke.«
    »Du benimmst dich, als würdest du dich hier auskennen.«
    »Du wirst dich wundern«, erwiderte Sagan, »aber ich bin hier sozusagen aufgewachsen. Meine Eltern haben mich überallhin mitgenommen und mir Dinge gezeigt, die die meisten Leute nie zu sehen bekommen. Vor dem 11. September war das noch viel leichter.«
    »Aha?«
    »Damals brauchte man dem Wärter am Tor gerade mal zuzuwinken. Keine Schranken oder irgendetwas in der Art. Als ich noch ein kleiner Junge war, sind wir fast jeden Sonntag hier gewesen und haben in dem großen Saal in Gebäude 4200 Kinderfilme angeschaut.«
    »Ich wusste nicht, dass die Gebäude nummeriert sind.«
    »Gebäude 4200 ist das bekannteste. Dort wurden die Mondlandungen geplant.«
    Abermals machte ich das schnarchende Geräusch.
    »Ist ja schon gut, ich hör ja schon auf mit dem Weltraum.«
    »Danke.«
    »Für heute zumindest.«
    Ich sagte nichts und er wartete vergeblich auf eine Reaktion von mir. »Ist das … in Ordnung?«, fragte er und berührte meinen Arm. »Ich meine, dass ich dich gern wiedersehen würde?«
    »Na ja, ich weiß nicht. Mein Kalender ist ziemlich voll.«
    Er begann zu lachen.
    »Nein, das stimmt. Ich habe wirklich viel zu tun.« Plötzlich fiel mir der kleine Generator wieder ein, der oben auf dem Turm fröhlich vor sich hin brummte. Wie lange war ich schon fort? Es war dunkel geworden und ich hatte noch nicht einmal meine Matratze aufgeblasen. Der Vampir war sicher längst unterwegs.
    »Ach ja, und … äh … was?«
    Ich stand auf. »Hä?« Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, worüber wir gerade gesprochen hatten. Die riesige, leere Cafeteria wurde mir auf einmal zu eng.
    »Ich muss gehen.«
    Sagan erhob sich ebenfalls. »Okay, keine Scherze mehr. Ich schließe nur schnell das Observatorium ab, dann fahre ich dich nach Hause. Dann musst du nicht … äh, laufen.«
    »Sagan, ich bin zu Hause.«
    »Hier?«
    »Nein, hier natürlich nicht. Ich meine, hier … auf dem Gelände.«
    »Auf dem Gelände des Raumfahrtzentrums?«
    »Ja.«
    »Nein, wirklich?«
    »Wirklich.«
    Er fuhr sich mit den Fingern durch sein Haar. Ich hätte gerne beobachtet, wie es wieder in seine vorherige Lage zurückfiel, aber …
    »Ich dachte … ich dachte, das war Spaß«, sagte er. »Ich dachte, wir hätten die ganze Zeit nur ein bisschen rumgeflachst.«
    »Ich habe dir doch gesagt, dass ich bis auf die Knochen ehrlich bin«, entgegnete ich. Früher war das jedenfalls so . »Und ich habe tatsächlich Spaß gehabt. So viel Spaß wie schon lange nicht mehr.« Schon sehr lange . »Aber ich muss bereit sein … ich meine, ich muss noch einiges vorbereiten, damit ich mich schlafen legen kann.«
    »Aber du kannst doch nicht … das geht doch nicht. Wo willst du denn schlafen? Das Gelände hier ist riesig, aber um irgendwo ein Lager aufzuschlagen, ist es einfach nicht geeignet. Sei ehrlich, meinst du es ernst?«
    »Todernst.«
    Sagan starrte mich an. »Aber das ist gefährlich!

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