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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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manchmal?«, fragte ich.
    »Dafür bin ich nicht der Typ.«
    »Ich auch nicht.« Bis gestern jedenfalls nicht, doch das würde ich ihm nicht sagen.
    »Na ja, vielleicht bin ich sehr wohl der Typ dafür, aber … ich bin wahrscheinlich zu konzentriert«, überlegte Sagan. Er lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und legte die Füße auf den Tisch. Da dieser umzufallen drohte, nahm er sie sofort wieder herunter. Seine Beine waren extrem lang. »Wenn ich mich für etwas interessiere, nehme ich alles andere nicht mehr wahr«, erklärte er.
    Wie bei einer Absence , wollte ich sagen, verkniff es mir dann aber. Ich betrachtete Sagans Schreibtisch – nichts von dem, was sich üblicherweise auf Schreibtischen befand, war darauf zu sehen. Keine Fotos, nichts Persönliches, nicht einmal ein Kalender. Vielleicht war er nur noch nicht lange genug da. Ich stopfte mir den letzten Bissen Snickers in den Mund. Als ich ihn hinuntergeschluckt hatte, war ich noch immer hungrig.
    »Bist du manchmal versucht, du weißt schon …«
    »Was?«
    »Dich umzusehen?«
    »In den anderen Zellen? Klar, die ganze Zeit. Na ja, nicht die ganze Zeit. Meistens ist das, woran ich arbeite, so interessant, dass ich an nichts anderes denke.«
    »Bist du schon einmal auf etwas Seltsames gestoßen?«, fragte ich.
    Sagan wirkte enttäuscht. Ich konnte ihm ansehen, dass er darauf brannte, von seiner Arbeit zu erzählen, aber Astronomie war nicht meine Sache.
    »Inwiefern seltsam?«, hakte er dennoch nach. »Meistens suche ich sowieso nur nach etwas Essbarem. Manche Leute stellen eine Schüssel mit Süßigkeiten auf ihren Tisch. Aber in Schubladen wühlen oder so etwas, das mache ich nicht. Das würde ich nie tun.«
    Ich lächelte süffisant. »Natürlich nicht. Das glaube ich dir sofort. Ich mache so etwas schon.«
    Er sah mich an. »Das traue ich dir zu.«
    Noch immer kam ich nicht über das helle Blau seiner Augen hinweg. Es würde sicher gut zu dem Blau passen, das im Dunkeln von ihm ausging. »Ich bin schon immer neugierig gewesen«, sagte ich.
    »Was ist mit Privatsphäre? Mit den Persönlichkeitsrechten eines Menschen?«
    »Die respektiere ich grundsätzlich nicht.«
    Sagan lachte. Ich mochte sein Lachen, das stand fest. »Ich glaube, das tut niemand.«
    »Ja, wenn man allein ist, tut jeder, wozu er Lust hat, und hofft, dass es niemand herausfindet.«
    Er neigte den Kopf nach links und rechts, als wenn er durch die Trennwände hindurchsehen könnte. »Einige dieser Leute möchte ich gar nicht kennenlernen. Aber wenn du so neugierig bist, warum hast du mich dann noch gar nicht gefragt, was ich hier tue?«
    »Ich finde Astronomie langweilig.«
    »Was?«
    »Tödlich.«
    »Hast du jemals durch ein Teleskop geschaut?«
    Jetzt legte ich die Füße auf den Tisch. Der Tisch wackelte kein bisschen. Ich hatte die Gummistiefel ausgezogen, um ein wenig Luft an meine Füße zu lassen. Obwohl ich sie geschrubbt habe, waren sie grün. Das kommt eben davon, wenn man kilometerweit barfuß durchs Gras läuft. Ich bewegte die Zehen.
    »Mehrfach«, antwortete ich. »Als wir in der achten Klasse bei der Von Braun Astronomical Society auf dem Monte Sano waren.«
    »Eh, da bin ich Mitglied!«
    »Hab ich mir gedacht«, erwiderte ich.
    »Und? Wie war’s?«
    Man konnte ihm ansehen, dass ihm meine Antwort wirklich wichtig war.
    »Das Teleskop war ziemlich beeindruckend, jedenfalls was die Größe angeht. Aber ich hatte mich auf glühende Feuerbälle, Sandstürme auf dem Mars und Regenbogen auf dem Jupiter eingestellt …«
    »Wie bei Hubble«, sagte Sagan nickend. »Das erwarten alle beim ersten Mal. Ich …«
    »Wahrscheinlich. Aber alles war so klein. Nichts als kleine weiße Punkte. Selbst Jupiter. Ich konnte kaum den roten Punkt sehen und er war auch nicht rot. Die Sterne waren noch nicht einmal Punkte, sondern nur Lichtsprengsel.«
    »Sterne können nicht wie Scheiben wahrgenommen werden. Sie sind zu weit entfernt.«
    »Dort war so ein komischer, alter Typ …«
    »Dr. Hermann.«
    »Ja. Ihm wuchsen Haare aus den Ohren. Als er uns einen binären Stern zeigte, bekam er beinahe einen Herzinfarkt vor Begeisterung. Dabei waren es nur zwei winzige Flecken Licht.«
    »Was ist mit Galaxien?«
    »Wurden uns auch gezeigt …«
    »Ich wette, es war M-31. Andromeda. Die nimmt er immer.«
    »Keine Ahnung.« Ich verstellte meine Stimme, um Sagans Helden nachzuahmen. »Milliarden von Sternen. Und man erkennt nicht mehr als einen Klecks. Siehst du? Langweilig. Aber okay,

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