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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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befürchten musst, es nicht zu schaffen, musst du alle Register ziehen. Damit meine ich, direkt auf den Gegner losgehen und hundsgemein sein. Wenn man die Nerven verliert und aufgibt, wird man weder leben noch gewinnen, so einfach ist es.‹«
    Ich merkte, wie meine Unterlippe zitterte, meine Augen brannten und vor mir verschwamm alles.
    »Ich weiß, das ist nicht, was du …«, stammelte Sagan.
    Ich beugte mich zu ihm hinüber und berührte mit den Lippen seinen Mund. Wir küssten uns. Es wurde ein langer Kuss. Seine Lippen schmeckten nach Vanilleeis.

18
    Monster
    Irgendwann hing ich nur noch an ihm und spürte, wie er ein- und ausatmete. Ich fragte mich, was seine Eltern wohl sagen würden, wenn sie hereinkämen.
    »Wow«, stieß Sagan hervor. »Wie kam das jetzt auf einmal?«
    »Tut mir leid, dass ich mich vorhin so angestellt habe. Ich weiß, dass ich ziemlich … seltsam auf dich gewirkt haben muss.«
    »Alles okay.«
    »Ich weiß, aber …«
    »Was?«
    »Es ist nur, dass ich mich an früher erinnert gefühlt habe. Ich hatte es fast vergessen. Das war heute für mich ein bisschen wie eine Zeitreise. Sind deine Eltern glücklich?«
    »Klar, ja, ich glaube schon«, sagte Sagan.
    »Bei einigen Leuten funktioniert es also wirklich.«
    »Ja, na ja … ich glaube, wenn man es so gewohnt ist, nimmt man es so hin. Ich kenne nichts anderes. Dann denkt man irgendwann, dass alle so glücklich sind.«
    »Werden wir glücklich sein?«
    »Meinst du, dass …«
    »Nein, ich meine nur uns. Du und ich. Ich spreche nicht von einem weißen Haus mit Garten und zwei Komma drei Kindern oder so etwas.«
    »Weißt du, dass wir uns wahrscheinlich nie begegnet wären, wenn das, was dir widerfahren ist, nicht geschehen wäre? Deshalb bin ich … ich bin darüber in gewisser Hinsicht glücklich.« Sagan nahm meinen Kopf in seine Hände, um mir in die Augen zu sehen. »Ich weiß nicht, wie man glücklicher sein könnte.«
    »Wenn mir etwas zustieße, würdest du dann …«
    »Sag so etwas nicht. Ich bin abergläubisch.«
    »Du meinst, du glaubst an schwarze Katzen, die Unheil bringen, und so ein Zeug?«, fragte ich lächelnd und rieb meine Nase an seiner. »Das überrascht mich.«
    »Nein, an so etwas wie nicht unter Leitern hindurchzugehen, Salz über die Schultern zu werfen und dass die Zahl Dreizehn Unglück bringen soll, glaube ich nicht. Ich meine das eher so allgemein. Vielleicht kann man derartig glücklich sein, dass man fast das Gefühl hat, es könne nicht von Dauer sein?«
    »Ja, das Gefühl kenne ich. Sehr gut sogar.«
    »Glaubst du denn, es wird etwas passieren?«
    »Irgendetwas passiert immer«, erwiderte ich. »Sonst ist es langweilig. Und wer will das schon?«
    »Sicher. Im Moment wäre ich mit ein wenig Sicherheit schon sehr zufrieden.«
    »Ich nicht«, widersprach ich. »Na ja, wenn es um meine kleine Schwester geht, natürlich schon. Wenn ihr etwas zustieße, würde es mich umbringen. Das steht fest. Aber von ihr abgesehen habe ich mich mein ganzes Leben nicht um Sicherheit geschert.«
    »Könntest du dann jetzt damit anfangen?«
    Als das Fest endete, war es längst dunkel geworden. Zum Abschluss des Abends spielte Sagans Schwester Charlotte auf dem Cello noch ein Concerto von einem Komponisten namens Rostropowitsch. Sie war groß und schlank und selbstverständlich blond. Zum Musizieren hatte sie sich lediglich Jeansshorts über den Badeanzug gezogen. Sie war vierzehn, und als ich sie beobachtete, wie sie sich voll auf ihr Spiel konzentrierte, während alle aufmerksam zuhörten, bekam ich plötzlich massives Heimweh.
    Auf dem Rückweg bat ich Sagan an einem kleinen Lebensmittelladen mit Telefon anzuhalten. »Du musst im Auto bleiben«, sagte ich zu ihm.
    Meine Mutter war nicht zu Hause, aber ich stotterte unter Tränen eine weitere Nachricht auf Anrufbeantworter, in der ich ungefähr das Gleiche sagte wie beim ersten Mal: »Bei mir ist alles in Ordnung. Wollte mich nur mal melden. Mach dir keine Sorgen. Sag Manda, dass ich sie lieb habe. Ich komme so bald wie möglich wieder nach Hause.«
    Bei meinem Großvater war es schwieriger, weil er den Hörer abnahm. Er redete nicht lange um den heißen Brei herum, genau wie ich es erwartet hatte.
    » Ma petite-fille , wo bist du?«, sagte er mit ernster Stimme.
    »Papi … bitte, ich kann dir nicht sagen, wo ich bin. Aber mir geht es gut. Wirklich. Bitte … ich weiß, dass es schwer für dich ist, ruhig zu bleiben, aber du musst …«
    »Komm nach Hause. Maintenant .

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