Verletzlich
nicht so sicher.
Sagan öffnete das Tor. Zunächst schien uns niemand zu bemerken; es war laut und die Leute unterhielten sich. Dann, als ich bereits Hoffnung schöpfte, wir würden sicher bis zur gläsernen Schiebetür gelangen, die ins Haus führte, schrie ein kleines Kind: »Eh, Sagans neue Freundin ist da!« Dann sprang es mit einer Arschbombe ins Wasser und ich wurde von oben bis unten nass gespritzt.
Alle hielten inne und schauten mich an. Ich war zu nervös, um zu zählen, aber mindestens sieben oder acht Kinder schwammen im Pool. Mehrere Erwachsene hatten es sich am Rand in Clubsesseln bequem gemacht. Mein erster Eindruck war: viele blasse Beine und blonde Haare.
»Hallo allerseits, das ist Julia! Ich habe ihr versprochen, dass ihr sie nicht verschreckt.«
Ich warf Sagan einen bösen Blick zu, der ihn aber wahrscheinlich wegen der Brille abermals nicht erreichte.
Ich war triefend nass, davon abgesehen war aber nichts passiert. »Hi«, stieß ich leise hervor und winkte unbeholfen.
»Hallo, Julia!« Eine große, dünne, blonde Frau kam zu uns herüber und nahm meine Hand zwischen ihre. Offensichtlich handelte es sich um Sagans Mutter.
Sie führte mich zu einem Mann, der mit einem großen Topfhandschuh vor einem riesigen Grill stand und jetzt grüßend die Grillzange hob. Er war ungefähr so groß wie Sagan und hatte eindeutig das dunkelste Haar unter allen Anwesenden. Dunkelblond. Auch waren seine Gesichtszüge weicher als die der anderen. Das musste Sagans Vater sein.
»Vielleicht magst du gleich hier drüben sitzen«, sagte Sagans Mutter. »Ich hoffe, du magst Fisch. Wenn nicht, können wir auch ein Kotelett drauflegen. Schatz, hast du das Fleisch mit rausgebracht, wie ich dich gebeten habe?«
»Nein, Fisch ist in Ordnung, wirklich!«, sagte ich.
So fehl am Platz wie hier hatte ich mich noch nie gefühlt. Nachdem ich die Nacht damit verbracht hatte, durch die Stadt zu streifen und gemeinsam mit anderen Vampiren Blut zu trinken, wurde mir von der ausgeprägten Normalität schwindelig.
»Schön, dass Sie kommen konnten«, sagte Sagans Vater und berührte kurz meine Hand. Ich merkte, wie ich verzweifelt auf das Essen starrte: durch die Hitze aufspringende Zwiebeln, grüne und rote Paprika, Mais …
Während Sagan mich weiter vorstellte, klopfte mir das Herz bis zum Hals. Geschwister sowie Tante und Onkel mit ihren beiden Kindern waren da, außerdem zwei oder drei Bekannte aus der Nachbarschaft. Den Überblick zu behalten, war unmöglich, deshalb versuchte ich es gar nicht erst. Mir all die Namen zu merken, war erst recht unmöglich, aber mir fiel auf, dass keiner so ungewöhnlich war wie der Name Sagan.
»Das erste Kind war ein Experiment, meint mein Vater«, lachte Sagan. »Danach haben sie weitergeübt, bis sie es richtig hinbekommen haben, behauptet er.«
Nachdem wir am längsten Picknicktisch der Welt Platz genommen hatten, war ich gezwungen, einige Details über meinen Vater zu erfinden: womit er sein Geld verdiente, welchen Fußballverein er mochte, solche Sachen, aber ich hielt mich so bedeckt wie möglich.
»Julia, Sagan hat uns erzählt, dass Sie ihm in Geschichte helfen?«, sagte Sagans Mutter ein wenig später. Eines der kleinen Kinder trat mir geistesabwesend unter der Tischdecke gegen das Schienbein.
Ich musste schlucken, weil ich mir gerade ein riesiges Stück Butter mit ein wenig gebackener Kartoffel in den Mund geschoben hatte. Komisch, was man vermisste.
»Hm, ja, ich tue mein Bestes«, antwortete ich mit noch immer vollem Mund. »Und er nimmt sich meines Matheproblems an.«
»In welchem Fach wollen Sie Ihren Abschluss machen?«
»Na ja …«
»Im ersten Jahr muss man sich noch nicht wirklich festlegen«, mischte sich Sagan ein. »Hauptsächlich geht es darum, die Grundkurse zu erledigen.«
»Ja«, sagte ich und griff den Faden auf. »Ein allgemeines Basiswissen ist wichtig.«
»Aber wofür interessieren Sie sich besonders?« Sagans Mutter blieb beharrlich.
»Ich weiß nicht genau«, murmelte ich. »Papi, mein Großvater, sagt immer, dass ich vier- oder fünfhundert Jahre zu spät geboren wurde.«
Sagans Vater setzte sich ebenfalls. Er hatte Schweiß auf der Stirn. »Wow, das sieht aber gut aus«, lobte er seine eigenen Kochkünste. »Dann sagen Sie doch mal: Wenn Sie irgendeine Figur aus der Geschichte sein dürften, für wen würden Sie sich dann entscheiden, Julia?«
»Ach, das ist leicht. Für einen Entdecker wie DeSoto oder Champlain oder Ponce
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