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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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ich panisch, doch er war keineswegs aggressiv. Er war er selbst. Vielleicht könnte man sagen, dass er mich zermürbt hat. Er war sehr behutsam. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Ich war bereit, ihm wieder in die Arme zu fallen, fast wie eine Art verzückter Selbstmord. Doch er war gar nicht wirklich dort. Jedenfalls nicht physisch, nur sein … Geist, wir nennen es l’essentiel . Durch seinen körperlosen Boten erklärte er, warum er mir das angetan hatte. Valentin war nie auf die Idee gekommen, dass er sich in jener Nacht in mich verlieben könnte.
    ›Ich habe nicht gewusst, dass ich noch fähig bin zu lieben‹, sagte er. ›Bis zu dem Moment, als ich durch deine Tür kam und dich sah. Ich wollte über dich herfallen, dich töten. Ich war blind durchs Leben gestolpert, durch ein Leben, das ich nicht mehr für lebenswert hielt. Du hast mich zurückgebracht. Du warst meine Rettung.‹
    ›Aber warum?‹, fragte ich und fasste mir an den Hals.
    ›Es tut mir unendlich leid‹, sagte er. ›Das ist meine Selbstsucht. Ich weiß, dass du niemals dieser Verwandlung zugestimmt hättest und eine Verbindung mit jemandem wie mir nie eingegangen wärst. Deshalb habe ich dich überwältigt. Als hätte ich dich vom Himmel gestohlen. Und wenn ich hier und jetzt dafür bestraft werde, diesen Ort auch nur zu erwähnen: Ich sage doch die Wahrheit. Ich möchte nur, dass du mich verstehst. Das war die einzige Möglichkeit, unsere einzige Möglichkeit. Du hättest nie ein normales Leben führen können, wenn du das über mich gewusst hättest. Und du würdest alt werden, während ich für immer bliebe, was ich bin. Bitte vergib mir und denk darüber nach, was ich gesagt habe und worum ich dich jetzt bitte.‹
    Er hielt es für seine einzige Chance. Unsere einzige Chance«, sagte Lena mit Tränen in den Augen. »Und deshalb meinte er mich auch zum Vampir machen zu müssen. Damit wir gemeinsam in dem Moment verharren, nie altern und den Rest der Ewigkeit zusammen verbringen würden.«
    Donne verdrehte die Augen, was Lena aber nicht zu bemerken schien.
    Für eine Weile schwieg sie. Als würde die Erinnerung zu sehr schmerzen. Irgendwann sprach sie weiter.
    »Die Ewigkeit dauerte letzten Endes kaum mehr als ein Jahr«, sagte sie. »Doch in der Zeit hat Valentin mir alles beigebracht, was ich wissen musste: Wer ich war. Wann man jagen sollte. Wo. Wie man trank. Am Anfang weigerte ich mich, mit ihm zu sprechen. Ich rannte mehrmals fort. Wenn er mich fing, trommelte ich ihm mit den Fäusten auf die Brust, schrie und flehte ihn an. Ich war mir sicher, meine Seele stürbe. Vielleicht war sie bereits tot.«
    Lena faltete die Hände im Schoß.
    »Und was geschah dann? Mit Valentin? Warum seid ihr nicht mehr zusammen?«, hakte ich nach.
    »Es ist so lächerlich«, antwortete Lena. »Auf jeden Fall war es 1862, den Monat habe ich vergessen. Unser Unterschlupf war ein verlassener Bauernhof mit löcherigem Boden. In dem moderigen alten Keller darunter, der nach faulen Kartoffeln und Zwiebeln roch, hielten wir uns versteckt.
    Doch eines Tages wurde der Hof geplündert und in Brand gesteckt. Es war pures Glück, dass sie nicht in den Keller vorgedrungen sind. Als wir nach Einbruch der Nacht herauskamen, wussten wir nicht, wo wir waren. Wir stolperten in ein albtraumhaftes Flammenmeer, überall waren Schüsse, das Pfeifen von Minié-Geschossen, zu hören. Wir befanden uns mitten auf einem Schlachtfeld des Sezessionskriegs. Valentin nahm meine Hand und wir flohen. Ich konnte sein Herz wie verrückt klopfen hören. Zuerst sah ich den Blitz und dann eine riesige Flamme. Es war eine Kanone. Meiner Erinnerung nach klang sie wie ein aufbrechender Berg. Wir befanden uns direkt vor der Schusslinie der Unionsstaaten. Ich weiß nicht einmal den Namen der Schlacht. Wahrscheinlich war sie vergleichsweise unbedeutend. Für mich hingegen veränderte sie alles. Wir waren so nahe an der Schusslinie, dass selbst Valentins Geschwindigkeit …«
    Lena ließ den Kopf sinken, hob ihn jedoch kurz darauf wieder.
    »Die Kanonenkugel riss alles oberhalb der Schultern mit sich. So plötzlich ward er mir genommen. Ich selbst wurde durch die Wucht in den Schlamm geschleudert und mit Valentins warmem Blut bespritzt. Mein Leben war nicht mehr dasselbe. Kein Tag vergeht, an dem ich nicht in irgendeiner Form um ihn trauere. Auch wenn es mittlerweile in gewisser Hinsicht ein … kristallines Gefühl geworden ist. Ein von Bernstein ummanteltes Gefühl.«
    »Lass dir nichts

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