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Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Titel: Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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für den Ministerpräsidenten erweisen, da sie sich – allen früheren Unkenrufen zum Trotz – als allseits beliebte und durchsetzungsfähige Ministerin erwiesen hat. Dass nun ausgerechnet sie in Schwierigkeiten gerät, wird dem Ministerpräsidenten sicher die eine oder andere schlaflose Nacht bescheren.«
    »Apropos«, fährt der Moderator fort. »Wie, glauben Sie, geht Juul-Osmundsen damit um? Es ist ja kein Geheimnis, dass sie vor nicht allzu langer Zeit psychische Probleme hatte und eine ganze Weile wegen Depressionen krankgeschrieben war. Was wird diese Geschichte Ihrer Meinung nach mit ihr machen?«
    »Es ist zu früh, dazu etwas zu sagen, aber natürlich wird es nicht leicht für sie. Ich kann mich an keinen Fall dieser Ausmaße erinnern, also dass eine Ministerin angeblich ihre Position auf diese Weise ausgenutzt hat. Aber vorläufig sollten wir vorsichtig sein mit Vorverurteilungen, da wir die Version der Justizministerin ja noch gar nicht kennen. Es scheint mir allerdings unwahrscheinlich, dass sie nach diesem Vorfall weitermachen kann wie bisher.«
    Depressionen, denkt Henning. Das ist neu für ihn.
    Das Bild auf dem Monitor verschwimmt, und in Hennings Gedanken blitzen Bilder von Trine als kleinem Mädchen auf, das im Garten in Kløfta unter dem Rasensprenger hindurchrennt, mit sechs, vielleicht sieben Jahren. Ihr Haar ist nass und klebt an Schultern und Rücken. Sie läuft mit einem fröhlichen Lachen im Gesicht auf ihn zu. Dann nimmt sie Anlauf und springt in den Wasserstrahl, unterbricht ihn kurz, ehe er wieder in einem eleganten Bogen in den Himmel steigt. »Komm schon, Henning«, ruft sie, und ihre Stimme erinnert ihn für einen kurzen Augenblick an Jonas’ Stimme.
    Henning sieht sich einen Schritt auf sie zumachen. Nur einen, dann bleibt er stehen. Trine ruft: »Komm schon, das macht solchen Spaß!« Gleich daneben, in einem wackeligen Regiestuhl, sitzt ihre Mutter mit einer Zigarette in der Hand und lächelt. Sie folgt ihrer Tochter mit dem Blick – einem Blick, der sich verändert, als sie Henning ansieht und auch ihn unter die Wasserstrahlen dirigiert. Und Henning tut es, er läuft los und spürt das kalte Gras zwischen den Zehen. Er nimmt Anlauf und springt, die Wasserstrahlen bohren sich in seine Haut wie Eismesser, und er hört Trine jubeln: »Toll, nicht?«
    Henning blinzelt. Ist zurück in der Redaktion. Er sieht die Kollegen um sich herum, hört die Geräusche, spürt die Atmosphäre, das Chaos, die Betriebsamkeit. In diesem Moment versteht er zum ersten Mal, was in den nächsten Tagen auf Trine zukommen wird. Sie alle werden ihr an den Fersen kleben, wo auch immer sie hingeht, sie werden Antworten fordern, auf jeden losgehen, den sie kennt: Freunde, Familie. Die Opposition wird sich zu Wort melden, es wird Meinungsumfragen geben, und die Telefone werden glühen von den Anfragen sämtlicher Zeitungen im Lande, die mehr als zehn Leser haben. Sie alle werden den Vorsprung einholen wollen, den VG sich erarbeitet hat. Denn nur wer vorne mit dabei ist, bekommt hohe Auflagen. Was auch heißt: eine niedrige Hemmschwelle hinsichtlich dessen, was veröffentlicht wird. Ein-Quellen-Journalismus. Und es wird nicht lange dauern, bis andere Artikel kommen, die darüber berichten, welch kritikwürdigen Dinge Trine sonst noch getan hat.
    Aber Trine ist nur die eine Seite, denkt sich Henning. Es gibt noch andere Dinge zu berücksichtigen. Darum steht er auf, sondert sich ein wenig von den anderen ab, nimmt sein Handy heraus und stellt fest, dass es bereits einundzwanzig Minuten nach zwölf ist. Er wählt die Nummer seiner Mutter. Anstelle des Freizeichens bekommt er die Nachricht, dass der Empfänger im Moment nicht erreichbar ist.
    Henning nickt zufrieden.
    23
    Wie war das nur möglich?
    Bjarne Brogeland steht noch immer draußen vor einem der Besprechungszimmer im Erdgeschoss des Grünerhjemmet und blättert in den Papieren, die Ella Sandland per Fax aus dem Präsidium bekommen hat.
    Sandland zuckt mit den Schultern.
    »Ich meine – überprüfen sie die Leute nicht, die sie hier einstellen? Es sollte doch wohl Mindestanforderungen geben?«
    Bjarne beginnt wieder von vorn und sieht, dass das Urteil gegen Daniel Nielsen, Erna Pedersens Hauptpfleger, aus dem Mai 2006 stammt. Er hat seine Freundin der Untreue verdächtigt und versucht, die Wahrheit aus ihr herauszuprügeln. Dass er recht hatte, war kein mildernder Umstand.
    »Er neigt zu Gewalt«, sagt Bjarne.
    »Trotzdem ist es fraglich, ob Erna

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