Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)
Pedersen ihn wirklich so sehr in Rage bringen konnte«, bemerkt Sandland.
Bjarne lacht tonlos, ehe er sein Handy herausnimmt. Nielsen hat ihn noch immer nicht zurückgerufen. Bjarne wählt noch einmal seine Nummer, landet aber wieder nur auf der Mailbox. Dieses Mal hinterlässt er ihm keine Nachricht.
»Wann fängt seine Schicht an?«, fragt er Sandland.
»Heute Nachmittag um vier.«
»Okay«, sagt Bjarne. »Dann fahren wir jetzt zu ihm nach Hause.«
Graue Wolken hängen tief über der Stadt, als Bjarne den Motor anlässt und losfährt.
»Hatte sie eine Erklärung dafür?«, fragt er und biegt nach links in die Søndre gate ab. Am Fuß des Hangs unter ihnen windet sich der Akerselva zwischen Erlen und Trauerweiden hindurch.
»Wer?«, fragt Sandland.
»Die Heimleiterin. Es war doch wohl sie, die Nielsen eingestellt hat, oder?«
»Sie brauchte Leute, hat sie gesagt. Und Nielsen sei ihr als ein guter Bewerber erschienen. Außerdem muss man kein Führungszeugnis vorweisen, um einen Job im Altersheim zu bekommen.«
Bjarne schüttelt den Kopf. Die Reifen rattern über die Straßenbahnschienen und die Schlaglöcher in der nachlässig geflickten Straße. Die Gebäude, an denen sie vorbeifahren, sehen wie verwaschene Legosteine aus, viereckig und vielfarbig blass.
Im Sofienbergpark sind das nasse grüne Gras und die dunkelbraunen, ebenen Wege übersät von Kastanien. Sie fahren weiter in Richtung Sinsen, von wo aus das Torshovdalen wie eine Schlucht zwischen Armen aus Asphalt abzweigt. Das Auto schiebt sich durch den Wind.
»Hast du eigentlich mit diesem streitlustigen Fernsehgucker gesprochen?«, fragt Bjarne. »Guttorm Tveter oder wie der heißt?«
»Das habe ich«, sagt Sandland, und ein Lächeln formt sich auf ihren Lippen. »Es ist ein Wunder, dass ich überhaupt noch eine Stimme habe. Der Kerl ist fast taub, weigert sich aber, ein Hörgerät zu tragen.«
»Typisch«, sagt Bjarne. »Aber hat er etwas gesehen? Oder hattest du den Eindruck, dass er etwas mit dem Mord zu tun haben könnte?«
»Nein. Es war schwer, ihm auch nur ein einziges vernünftiges Wort zu entlocken. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er überhaupt mitbekommen hat, dass Erna Pedersen tot ist.«
»Okay.«
»Aber er hat mich an seiner Jugend in Linderup mehr als gerne teilhaben lassen, und da mangelte es nicht an Details.« Dann beginnt sie zu lachen. »Weißt du, was er mich gefragt hat?«
»Hmm?«
»Ob ich nicht eine Flasche Cognac mitbringen könnte, wenn ich das nächste Mal komme.«
Bjarne lächelt.
»Am liebsten Braastad XO«, ergänzt sie.
»Der ist gut, wirklich«, sagt Bjarne lachend. »Ich glaube, ich habe zu Hause auch noch eine Flasche davon stehen.«
Es wird still zwischen ihnen. Bjarne biegt in die Sinsenterrassen ein, hinaus aus dem grauen Oslo.
»Und zu den Geschehnissen gestern konnte er gar nichts sagen? Hat er sich denn an überhaupt nichts erinnert?«
»Ich hatte nicht den Eindruck«, antwortet Sandland. »Eigentlich hat ihn nur interessiert, wie viel Uhr es ist, weil er irgendetwas im Fernsehen sehen wollte.«
Bjarne findet einen Parkplatz vor einem Lebensmittellädchen und steigt aus. Bisher hat sie dieser Tag noch kein bisschen weitergebracht. Sie nähern sich dem Haus, in dem Daniel Nielsen wohnt, und klingeln. Bjarne vergräbt die Hände in den Taschen seiner Jeans, um sie zu wärmen, während er nach oben zu den grauweißen Fenstern schaut.
Gleich darauf hört er eine Stimme aus der Gegensprechanlage.
»Hallo, wir sind von der Polizei«, sagt Ella Sandland. »Sind Sie Daniel Nielsen?«
Stille.
»Daniel Nielsen?«, wiederholt sie.
Wieder ist nur Stille zu hören, doch dann summt das Türschloss. Sie betreten das Haus, fahren mit dem Fahrstuhl in die fünfte Etage, wo ein Mann mit dunklen, halblangen Haaren und Dreitagebart sie auf dem Flur erwartet. Auf seinem schwarzen T-Shirt prangt Whitney Houston. Unter dem Gesicht der Künstlerin steht mit roten Buchstaben »Houston, we have a problem«. Der dicke Bauch, der über der schwarzen Hose hängt, würde Bjarne panisch machen und sofort in die nächste Fitnessbude treiben.
»Tag«, sagt Daniel Nielsen. »Vermutlich hat einer von Ihnen versucht, mich heute Morgen anzurufen? Ich war beim Sport, bin gerade erst wiedergekommen.«
»Und Sie hatten noch nicht einmal Zeit zum Duschen?«, fragt Bjarne.
»Nein, ich …« Nielsen fährt sich mit der Hand durchs Haar. »Dazu bin ich noch nicht gekommen.« Er reibt sich die Hände am Stoff seiner Hose.
»Wo
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