Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)
so unruhig. Der Mediendruck, den eine derartige Sache auslöst, kann selbst das sonnigste Gemüt fertigmachen. Kein Leibwächter der Welt wird Trine daran hindern können, etwas Drastisches zu unternehmen, wenn sie es darauf anlegt.
Und das ändert ein paar grundlegende Dinge.
Henning denkt an seinen Schwager Pål Fredrik Osmundsen, Trines Mann. Vielleicht weiß er ja etwas. Laut Artikel haben weder Journalisten noch jemand anders ihn in den letzten vierundzwanzig Stunden zu fassen bekommen.
Henning setzt sich ins Auto, ohne Erna Pedersen oder Pia Nøkleby einen weiteren Gedanken zu widmen. Bevor er sich Richtung Oslo auf den Weg macht, sucht er Osmundsens Nummer heraus und schickt ihm eine Nachricht.
Ich weiß, dass alle versuchen, Dich zu erreichen, aber vermutlich bin ich der Einzige in der Presseriege, dem daran liegt, Trine zu helfen. Können wir reden? Am liebsten face to face. Gruß, Henning (Trines Bruder)
Er fährt, so schnell es geht, zurück nach Oslo. Als sein Handy brummt, nimmt er es vom Beifahrersitz. Eine SMS von Pål Fredrik Osmundsen.
Kannst Du in einer halben Stunde im Stargate sein?
43
Johanne Klingenberg hat den Großeinkauf für die ganze Woche gemacht. Die Tüten hängen tonnenschwer an ihren Armen.
Ich hätte die Hanteln nicht Emilie zu Weihnachten schenken sollen, sondern mir selbst, denkt sie im Stillen.
Kaum nähert sie sich der Haustür, meldet sich wieder die Angst, dass jemand im Treppenhaus oder in ihrer Wohnung auf sie lauern könnte. In letzter Zeit ist es wieder schlimmer geworden. Abends, bevor sie ins Bett geht, läuft sie durch die Zimmer und schaut in jeden Schrank. Selbst unter dem Bett sieht sie nach, ehe sie unter die Decke kriecht und auf Geräusche lauscht und deshalb immer viel zu spät in einen unruhigen Schlaf gleitet.
Vielleicht hätte sie Emilie beim Essen von dem Einbruch erzählen sollen, aber sie wollte sie nicht beunruhigen und die Stimmung damit verderben. Sie haben sich so lange nicht gesehen und hatten so viel Spannendes zu erzählen – obwohl Emilie sie zwischendurch fast wütend gemacht hat. Bei ihr hat nie Männermangel geherrscht, wenn sie auch immer ziemlich schräge Typen erwischt hat. Und jetzt hat sie endlich einmal einen netten Kerl und ist immer noch unzufrieden.
Sieh mich an, hätte Johanne ihr am liebsten gesagt. Ich habe schon seit Ewigkeiten keine Beziehung mehr gehabt. Ich wäre selig, wenn ich jemanden hätte, in den ich mich verlieben könnte. Der über Äußerlichkeiten hinwegsieht und mir wenigstens eine Chance gibt.
Sie weiß, dass sie ein paar Kilo zu viel auf den Rippen hat und zu viel redet, besonders wenn sie getrunken hat. Aber sie hat unendlich viel Liebe zu geben. Unendlich viel! Emilie war immer mit Männern gesegnet, die bereit waren, ihr alles zu geben.
Die Welt ist ungerecht.
Johanne merkt, wie ihr in dem engen Treppenhaus Schweißperlen auf die Stirn treten. Und die blöden Tüten bleiben ständig irgendwo hängen.
Es dauert eine Weile, aber schließlich hat sie es bis in den dritten Stock hinaufgeschafft. Schwer atmend schließt sie die Tür auf und zieht die Tüten hinter sich in den Flur. Am liebsten würde sie direkt unter die Dusche gehen, aber erst einmal muss sie sich hinsetzen.
Ihr Herz versucht, seinen normalen Rhythmus wiederzufinden. Sie hält nach Baltazar Ausschau, dem kleinen Racker, aber er liegt nicht in seinem Korb. Sie ruft nach ihm und wundert sich, dass er sich nicht einmal mit einem Maunzen meldet.
Es vergehen ein paar Minuten, ehe Johanne sich erhebt und ins Wohnzimmer geht. Sie ruft noch einmal nach Baltazar, bekommt aber noch immer keine Antwort. Sie kniet sich hin und wirft einen Blick unters Sofa, aber auch dort keine Spur von dem Kater. Nur andere Dinge, die dort nichts zu suchen haben.
Als sie sich mit einem tiefen Seufzer wieder aufrichtet, nimmt sie eine Bewegung hinter sich wahr.
Johanne fährt herum – und reißt die Augen auf.
»Was machst du denn hier?« Hätte sie ihn nicht sofort erkannt, hätte sie wahrscheinlich laut geschrien.
Aber seine Augen sind unheimlich. Leer und kalt. Er durchbohrt sie fast mit seinem Blick, als er sagt: »Feiner Kerl.« Dann nickt er zur Wand und macht einen Schritt auf sie zu.
Johanne will nach hinten ausweichen, aber da steht der Wohnzimmertisch.
Ist er vor zwei Wochen hier bei mir eingebrochen?, schießt es ihr durch den Kopf. Hat er mich immer und überallhin verfolgt?
Sie sieht ihn an, schaut ihm in die Augen und spürt eine Angst, wie
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