Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)
gewesen ist und ein Fax über Ihre Anlage versendet hat?«
»Beim Fax ist das nicht so einfach, das kann jeder nutzen, der hier ist. Aber ein paar Namen habe ich hier. Am Montag war es ziemlich leer.«
»Das wäre toll.«
60
Ohne anzuklopfen, stürmt Fredrik Stang in Bjarnes Büro.
»Wir haben einen Treffer«, ruft er aufgeregt. »Wir sind die Klassenlisten von Erna Pedersen aus der Jessheimer Schule durchgegangen und haben einen Treffer!«
»Wen?«
»Markus Gjerløw.« Stang strahlt übers ganze Gesicht.
Markus Gjerløw, der Mann, mit dem er tags zuvor geredet hat. Einer der ehrenamtlichen Helfer.
»Er war zwei Klassen über Emilie Blomvik und Johanne Klingenberg«, fährt Stang fort.
Er muss es sein.
»Gute Arbeit, Fredrik!«
Bjarne ruft Emilie Blomvik an. »Markus Gjerløw«, sagt er, als sie sich meldet. »Wissen Sie, wer das ist?«
Blomvik antwortet nicht gleich. Stattdessen ist Straßenlärm in der Leitung zu hören. Dann: »Markus? Ja, natürlich weiß ich, wer das ist.«
»Waren Markus und Johanne befreundet?«
Bjarne steckt sich einen Finger ins Ohr, um sie besser hören zu können.
»Sie waren mal ein Pärchen als Jugendliche. Und später, auf der weiterführenden Schule, war ich selbst auch mal kurz mit ihm zusammen.«
Bjarne kann kaum mehr stillsitzen. »Warum haben Johanne und Markus sich getrennt?«
»Du lieber Himmel«, ruft sie und lacht. »Sie waren damals dreizehn oder vierzehn Jahre alt. Es grenzte in der Zeit ohnehin an ein Wunder, wenn man länger als drei Wochen mit jemandem zusammen war.«
»Dann war das also keine tiefer gehende Beziehung?«
»Nein, ganz bestimmt nicht.«
»Und wie war Ihre Beziehung zu ihm?«
Wieder entstand eine kurze Pause. »Ich war damals vielleicht siebzehn oder achtzehn. Es war mir einfach zu früh, etwas Ernstes anzufangen. Und als er zum Militär musste … oder an einen anderen Ort, ich erinnere mich nicht mehr so genau, da …« Sie spricht den Satz nicht zu Ende.
»Wissen Sie, was für eine Beziehung er zu Erna Pedersen hatte?«
»Nein, er war ja ein paar Jahre älter als ich. Aber warum fragen Sie danach? Hat er …«
»Das wissen wir noch nicht«, sagt Bjarne. Innerlich hat er aber keine Zweifel mehr.
Kinder, denkt Henning. Schon verrückt, wie etwas so Schönes so schrecklich enden kann. Sein Leben ist zerstört, weil sein Kind gestorben ist. Und Trines Leben scheint sich jetzt wegen eines Kindes aufzulösen, das sie nie bekommen hat.
Henning denkt an seine eigene Familie, an Mutter, Vater, Schwester, die ihm entglitten sind, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Aber hat er etwas dagegen tun wollen? War das wirklich sein Interesse?
Er glaubt es nicht. Nicht nachdem er Nora traf, nicht nach Jonas. Er hatte seine eigene kleine Familie, es drehte sich alles nur noch um sie drei. Er dachte nicht mehr viel an Trine oder ihre gemeinsame Jugend, sondern akzeptierte, dass dieses Kapitel für sie beide abgeschlossen war. Es hat ihn nie interessiert, etwas zu unternehmen, um die Familie wieder zu einen. Abgesehen davon, dass er dafür sorgt, dass seine Mutter immer etwas zu rauchen und ihren Likör hat und dass es bei ihr zu Hause einigermaßen sauber ist. Aber da endet sein Engagement auch schon. Und jetzt, da er allein dasitzt und darüber nachdenkt, dass Trine ihr eigenes Leben lebt, unabhängig von ihm – von ihnen –, fällt es leicht, sich die Schuld für all das zu geben, was in der Familie Juul schiefgelaufen ist. Er war der Mann im Haus, nachdem sein Vater starb. Er hätte etwas unternehmen müssen. Die Initiative ergreifen. Er hätte die Probleme erkennen und lösen müssen. Stattdessen hat er alles einfach geschehen lassen.
Und jetzt ist es vielleicht zu spät. Trine hat ihm klar zu verstehen gegeben, dass sie seine Hilfe nicht will. Die Distanz in ihrem Blick war unüberbrückbar, die Kälte schmerzlich spürbar. Trotzdem hat es ihm gutgetan, sie wiederzusehen. Jenseits von Zeitungen oder Fernsehdiskussionen, in denen sie immer so selbstsicher und überzeugt auftrat. Sie war wieder sie selbst. Temperamentvoll wie immer. Tadelnd und zurechtweisend, wie sie es schon als kleines Mädchen war.
Er hat den Leihwagen noch nicht wieder abgegeben, worüber er ganz froh ist, als er vor dem Eiksmarka-Center parkt. Das Einkaufszentrum ist so früh am Morgen noch wie leergefegt, was auch für das Internetcafé gilt. Es ist kein einziger Kunde da, als Henning sich dem dünnen, dunkelhäutigen Mann mit Bart vorstellt, der inbrünstig auf
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