Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)
Treppenaufgang.
Keine Reaktion.
Sie klopfen noch einmal fester. Rufen seinen Namen. Wieder keine Antwort.
Es kommen weitere Beamte der Einsatztruppe dazu, einer hält einen Rammbock in der Hand. Er bekommt grünes Licht und schlägt das Gerät mit Wucht gegen die Tür. Beim zweiten Versuch gibt die Tür nach. Die Männer stürmen mit gezückten Waffen in die Wohnung. Sie brüllen dabei, um die Zielperson einzuschüchtern. Dann folgen schnell aufeinander die Bescheide aus den Räumen.
»Sicher!«
»Sicher!«
Im dritten Raum bleibt es still.
Nach einigen Minuten kommt ein Beamter heraus und nimmt seinen Helm ab. Er sieht Brogeland und Sandland mit ernstem Blick an.
»Markus Gjerløw sitzt da drinnen«, sagt er und zeigt mit dem Daumen über die Schulter. »Er ist tot, mausetot.«
Markus Gjerløw sitzt zurückgelehnt in einem Sessel, die Arme seitwärts ausgestreckt, den glasigen, leeren Blick nach vorn gerichtet. Auf einem Tisch neben ihm steht eine fast leere Flasche mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Und unter dem Tisch, in einer kleinen Klarsichthülle, liegen zwei Kapseln.
Bjarne hat schon öfter Morphinkapseln gesehen.
Was er für das Wohnzimmer gehalten hat, erweist sich zugleich als Schlafzimmer. Auf dem Bett liegt eine zurückgeschlagene Decke. Kleider sind über einen Stuhl geworfen worden oder liegen am Boden.
Bjarnes Blick gleitet über die kahlen Wände zu einem Schreibtisch, auf dem sich Zeitungen, Bücher, Papier und Verpackungsmaterial stapeln. Entlang der Fußleisten sind Kabel gezogen, schwarze und weiße, die zu einer Heimkinoanlage in der Ecke führen. An der einen Wand hängt ein gigantischer Monitor mit Lautsprechern links und rechts. Zwei PC -Bildschirme laufen, auf dem einen ist Facebook geöffnet, auf dem andern läuft ein Ballerspiel.
»Er kann noch nicht lange tot sein«, sagt Sandland und scrollt durch das offene Facebook-Profil. »Er hat seinen Status erst vor«, sie wirft einen Blick auf ihre Uhr, »vor zwei Stunden und fünfzehn Minuten aktualisiert.«
Bjarne stellt sich neben sie. »Was schreibt er?«
» › Entschuldigung ‹ .«
Bjarne sieht sie an.
»Die Kommentare einiger seiner Freunde, was er damit meint und was passiert ist, hat er nicht mehr beantwortet.«
»Dann hat er es also bereut«, stellt Bjarne fest.
»Jepp. Wir haben ihn«, sagt Sandland und sieht ihn erleichtert an. »Es ist vorbei.«
Die Kriminaltechniker übernehmen das Kommando, aber Bjarne braucht noch ein paar Antworten, ehe er geht. Es dauert eine Weile, bis Ann-Mari Sara zu ihm hinauskommt. Sie hat einen Beweisbeutel dabei, den sie ihm reicht. »Das lag zuoberst in einer seiner Schubladen.«
Bjarne nimmt den Beutel. Er enthält einen Umschlag.
»Sieh dir das Logo an.«
Bjarne dreht den Beutel um und sieht ein grünes, blütenumranktes G in der oberen rechten Ecke. »Grünerhjemmet.«
»Der Brief ist an Tom Sverre Pedersen in Vinderen adressiert. Erna Pedersens Sohn.«
»Dann hat Gjerløw also in seiner Post geschnüffelt und herausgefunden, wo Erna Pedersen nach ihrem Wegzug aus Jessheim gelandet ist.«
Sara nickt.
»Habt ihr noch was anderes da drinnen entdeckt?«
»Fotos«, sagt Sara. »Haufenweise Fotos auf seinem PC , sowohl von Johanne Klingenberg als auch von Erna Pedersens Zimmer im Pflegeheim. Die Fotos von Johanne sind gestochen scharf und hochaufgelöst. Die aus dem Pflegeheim sind vermutlich nur mit einem Mobiltelefon aufgenommen worden.«
Bjarne holt tief Luft und versucht, die Einzelteile zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Markus Gjerløw hatte also irgendeine offene Rechnung mit Erna Pedersen und Johanne Klingenberg. Er findet sie, bringt sie um – und nimmt sich dann selbst das Leben? Weil es nicht geholfen hat? War die Balance nicht wiederhergestellt, nachdem er Rache verübt hat?
Aber welche Rolle hat Emilie Blomviks kleiner Junge in seinem Leben gespielt?
Das einzig Eindeutige in Markus Gjerløws Leben scheint im Moment zu sein, dass er zum letzten Mal ein Leben zerstört hat. Warum er zum Mörder wurde, wird hoffentlich nach und nach beantwortet werden.
62
Heidi Kjus steuert auf Henning zu, als er mit einer Tasse dampfend heißem Kaffee auf dem Weg zurück an seinen Schreibtisch ist. Ihr Tempo verheißt nichts Gutes.
»Wo hast du gesteckt?«, fragt sie spitz und bleibt direkt vor ihm stehen.
»Ich musste meinen Leihwagen zurückbringen.«
»Warst du nicht auf den Bislett-Mord angesetzt?«
»Doch.«
»Sie haben ihn«, sagt sie.
»Wen?«
»Johanne
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