Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)
…«
Aber Remi hebt nur warnend die Hand, packt sie und zieht auch sie ins Wohnzimmer. Mattis versucht dazwischenzugehen, aber er war noch nie ein großer Kämpfer, und jetzt fehlt ihm erst recht die Kraft. Remi pariert seinen Angriff mit einem Schlag ins Gesicht, und Mattis geht zu Boden.
Sebastian weint immer lauter.
»Bitte«, fleht Mattis aus aufgeplatzten Lippen. »Nimm, was du willst, aber tu uns nichts.«
Remi antwortet nicht.
»Lass uns in Frieden. Bitte.«
Emilie begreift nicht, was sich vor ihren Augen abspielt. Und dass Remi …
Seine Jacke. Sie ist militärgrün. Sein Blick geht zu der Wand, an der das gerahmte Bild hängt. Zwei Füße im Sand.
Emilie schlägt die Hände vor den Mund, während ihr die Tränen in die Augen schießen.
Remi zieht Mattis vom Wohnzimmerboden hoch und stößt ihn weiter. In den Händen hält er das dicke grüne Tau, das sonst immer in der Garage hängt.
Mattis tut, was von ihm verlangt wird. Er setzt sich an den Wohnzimmertisch, während ihm der Schweiß von der Stirn tropft und sich mit dem Blut mischt, das in sein weißes Hemd einsickert. Emilie schluchzt, als sie die Wildheit in Remis Augen sieht, den entrückten Ausdruck, den sie noch nie bei ihm gesehen hat. Das ist nicht mehr der Remi von früher. Es ist ein anderer Mensch. Sie sieht ihn einfache, doppelte und dreifache Knoten machen, die er so fest zuzieht, dass Mattis stöhnt. Und in der Küche weint Sebastian.
»Der Junge soll die Klappe halten«, faucht Remi und hebt wütend eine Hand. »Stopf ihm das Maul, sonst mach ich das.«
Emilie schluchzt, zieht die Nase hoch. Geht in die Küche und beugt sich zu Sebastian hinunter, wischt ihm das Gesicht ab und versucht, ihn zu beruhigen. Es ist alles gut, es wird alles wieder gut, wenn du nur still bist. Aber das alles nützt nichts, Sebastian heult wie eine Sirene. Emilie hält nach seinem Schnuller Ausschau, kann ihn aber nicht finden.
»Wo ist sein Zimmer?«, fragt Remi. Er ist hinter sie getreten, packt sie am Arm und hält sie fest. Emilie versucht, sich loszureißen, aber sein Griff ist so hart, dass es nur noch schmerzhafter wird, wenn sie sich wehrt.
»Wo ist sein Zimmer?«, schreit Remi.
»Da drin«, schluchzt Emilie und dreht den Kopf in Richtung Flur.
Remi lässt sie los. »Bring ihn rein. Ich ertrage dieses Geschrei nicht.«
Emilie nimmt Sebastian auf den Arm, drückt seinen Kopf in ihre Halsbeuge und streichelt ihm über den Rücken, während sie ihn zu beruhigen versucht. Sie geht auf den Flur, an der Badezimmertür vorbei und in Sebastians Zimmer.
»Du musst leise sein«, sagt sie und versucht verzweifelt, sich zu beherrschen, obwohl ihre flehende Stimme sich beinahe überschlägt. Sei stark, redet sie sich selbst ein. Für Sebastian. Nur du kannst jetzt noch verhindern, dass er nicht noch mehr mit ansehen muss als ohnehin schon.
Sebastian beruhigt sich ein klein bisschen, als er seine Spielsachen sieht, sein Bett und die Wand mit der hellblauen Tapete. Und natürlich seine Figuren und Tiere, das Lightning-McQueen-Auto. Sein Atem wird ruhiger, und er hört auf zu schluchzen.
Emilie weint umso mehr. Ihr Junge. Wie klein und zerbrechlich er ist.
»Und du«, sagt Remi zu ihr, als sie wieder ins Wohnzimmer kommt, »du hörst jetzt auch mit dem Geflenne auf!«
Emilie nickt, aber ihre Tränen fließen weiter.
»Mach die Tür zu!«
Emilie tut, was er sagt. Dann nickt er in Richtung des Wohnzimmers, in dem Mattis fieberhaft versucht, sich aus den Fesseln zu befreien. Emilie hastet zu ihm und will ihm das Blut aus dem Gesicht wischen. Es kümmert sie nicht, dass ihre Hände nass und klebrig werden.
Sie fährt herum, als sie Remi direkt hinter sich spürt. »Was hast du vor, warum …«
Wieder hebt er eine Hand, er ist wütend. »Das weißt du ganz genau, du musst nur nachdenken.«
Emilie erstarrt. »Nein«, sagt sie. »Das weiß ich nicht.«
»Doch, doch, so dumm bist du nicht.«
Emilie denkt panisch nach, aber sie hat schon lange nichts mehr gegessen, und ihr Hirn funktioniert nicht mehr richtig.
»Vielleicht doch, erklär’s mir bitte. Sag’s mir.«
Remi atmet schwer und fasst sich an den Kopf. Massiert sich die Schläfen. Sieht wieder an die Wand, auf die beiden Fußabdrücke.
Dann klingelt ihr Telefon. Emilie versucht zu verorten, woher das Geräusch kommt.
»Ist das deins?«, fragt er.
Emilie antwortet nicht.
»Ist das dein Handy?«, wiederholt er.
Emilie nickt.
Remi geht dem Geräusch nach und findet das Handy auf dem
Weitere Kostenlose Bücher