Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

als ihr Blick zur Haustür gelenkt wird.
    Draußen nähern sich Schritte.
    Als Bjarne vom Olymp über die Straße läuft, packt der Wind seine Jacke und weht sie auf.
    Es war nicht Gjerløws Blut. Das Blut musste natürlich nicht zwangsläufig das des Täters sein, aber verdammt naheliegend wäre es doch gewesen. Laut Polizeibericht hat Johanne Klingenberg das Blut vor dem Katzenkorb erst am Tag des Einbruchs entdeckt. Da war sie sich ganz sicher. Natürlich musste der Mann, der bei ihr eingebrochen ist, nicht notwendigerweise ihr Mörder sein, aber irgendwie war auch das verdammt naheliegend.
    Aber Markus Gjerløw hat sie nicht umgebracht.
    Auch der spurlos saubere Computer stört Bjarne ungemein. Sie haben einen Standardcheck durchgeführt und festgestellt, dass die Seriennummer des Rechners auf Markus Gjerløw registriert war. Er hatte das Gerät vor sechsundzwanzig Monaten bei Spaceworld gekauft. So weit, so gut. Aber …
    Den anderen Computer haben sie natürlich auch untersucht, einen Rechner neueren Datums, der allem Anschein nach täglich benutzt wurde. Warum zwei unterschiedliche Computer? Und warum der Selbstmord?
    Wenn es denn Selbstmord war.
    Der Gedanke kommt ihm absurd vor. Es weist nichts darauf hin, dass Markus Gjerløw seinem Leben nicht selbst ein Ende gesetzt hat.
    Bjarne denkt an den Modus Operandi, die Vorbereitungen, die der Täter sowohl in Erna Pedersens Zimmer als auch in Johanne Klingenbergs Wohnung angestellt hat. Möglicherweise hat er geplant, Gjerløw ebenfalls umzubringen. Und dafür gesorgt, dass alle Beweise in Gjerløws Richtung zeigen, um den Verdacht auf ihn zu lenken und selber zu entkommen.
    Um weitermorden zu können?
    Der Gedanke veranlasst ihn dazu, Emilie Blomvik anzurufen.
    Er presst den Hörer ans Ohr, um die Verkehrsgeräusche auszublenden. Beendet die Verbindung, als Emilie Blomvik nicht abnimmt.
    Komm schon, denkt er. Das sind die Dinge, die du perfektionieren musst. Analysieren, schnell, präzise, effektiv. Die richtigen Entscheidungen treffen. Wenn du irgendwann Ermittlungsleiter werden willst, musst du in Situationen wie dieser bestehen.
    Es muss jemand sein, der Gjerløw gut kennt, denkt Bjarne. Jemand, der wusste, dass Gjerløw an dem Tag im Grünerhjemmet war.
    Er bleibt stehen.
    Natürlich!
    70
    Henning hat fast zu Bjarne aufgeschlossen, als sein Handy klingelt. Unbekannte Nummer.
    »Hallo? Spreche ich mit Henning Juul?«
    »Ja.«
    »Ich habe Ihre Visitenkarte an meiner Tür gefunden«, sagt die Frau am anderen Ende.
    »Oh, ja«, sagt Henning. Es muss Erna Pedersens alte Nachbarin in Brinken sein, Borgny Ramstad.
    »Ich war ein paar Tage bei meiner Tochter in Bergen und bin erst jetzt nach Hause gekommen. Mit dem Nachtzug. Und da habe ich Ihre Visitenkarte gefunden. Sie wollen mir doch wohl nichts verkaufen?«
    »Nein, nein, ganz und gar nicht«, sagt Henning. »Ich möchte mit Ihnen über Erna Pedersen sprechen. Sie waren doch ihre Nachbarin.«
    »Das war ich, vierundzwanzig Jahre lang.«
    Henning sieht zu Bjarne hinüber, der sein Notizbuch herausnimmt und irgendetwas überprüft.
    »Frau Ramstad, es geht um eine Sache, die schon einige Jahre zurückliegt.« Und dann erklärt Henning ihr, warum er sich für Erna Pedersen interessiert.
    »Das ist ja schrecklich! Das habe ich gar nicht mitbekommen. Wissen Sie, mein Enkelkind war krank.«
    »Verstehe«, sagt Henning. »Wie war das mit diesen Schmierereien und dem Vandalismus? Hat sie jemals mit Ihnen darüber gesprochen?«
    »O ja, natürlich hat sie das. Erna war damals außer sich vor Wut.«
    »Ich weiß, dass sie damals einen Verdacht hatte, wer hinter diesen Aktionen stehen könnte. Können Sie sich daran erinnern?«
    Es wird einen Augenblick still. Ein paar Meter weiter nimmt Bjarne das Handy wieder ans Ohr.
    »Ich weiß nicht so genau …«
    »Wenn ich es richtig verstanden habe, waren es mehrere Täter. Aber wissen Sie, ob Erna vor einem der Vandalen im Speziellen Angst hatte?«
    Wieder wird es still. »Das kann dann nur dieser …« Sie kommt ins Stocken. »Mir fällt sein Name gerade nicht ein.«
    »Versuchen Sie, sich …«
    »Doch, jetzt weiß ich es wieder!«, ruft sie. »Das war der Bruder von dem, der bei diesem Schneeunglück ums Leben gekommen ist, genau.«
    Bjarne denkt daran, was Markus Gjerløw ihm am Telefon gesagt hat. »Ich kenne nur Remi.«
    Er holt den Zettel mit den Namen heraus, den er von Emil Hagen bekommen hat.
    Remi Gulliksen.
    Der Name ist auf der Liste sogar fett gedruckt.
    Bjarne