Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)
mit ihm zusammen, und alles hätte gut sein sollen. Stattdessen wurde sein Leben zur Hölle.
Manche Leute sind einfach so. Sie wollen immer alles haben. Wenn Markus in der Schule jemanden sah, der einen coolen Pullover oder eine tolle Jacke trug, musste er sofort das Gleiche haben – oder etwas noch Cooleres. Er besaß immer die neuesten Sachen und war aus unerfindlichen Gründen auch bei den Mädchen populär. Außerdem war er Erna Pedersens Liebling. Und sogar als Remi mit Emilie zusammen war, konnte Markus sich nicht zurückhalten. Da musste auch er sie prompt haben. Und Emilie war damals so zügellos, für sie zählten nur Partys, Partys und Partys – eine nach der anderen.
Emilie beteuerte danach natürlich ihre Unschuld, schob alles auf das übliche Jessheim-Getratsche und schaffte es, in ihm gerade genug Zweifel zu säen, dass er sich weiterhin mit ihr traf. Genau in dieser Zeit geschah dann, was nicht hätte geschehen dürfen. Sie war plötzlich über der Zeit. Er weiß noch genau, wie sich das angefühlt hat. Für ihn hätte es der Anfang von etwas Neuem sein können, ein neuer Start. Vergessen wir die Vergangenheit. Komm, machen wir’s, fangen wir neu an. Gründen wir eine Familie. Nennen wir unser Kind Sebastian.
Remi ballt die Hände zu Fäusten, als er an das Gespräch denkt, das sie ein paar Tage später, nachdem sie ihn über ihre Schwangerschaft informiert hatte, führten. Ohne dass sie es klar aussprach, begriff er, dass Johanne mit ihr geredet und sie gewarnt haben musste. Emilie, du kannst das nicht tun, mach dein Leben nicht auf diese Art kaputt. Es ist zu früh, um Mutter zu werden.
Was willst du denn tun? Wollt ihr vielleicht heiraten?
Johanne hat ihn nie gemocht, obwohl er ihr damals vor der Imbissbude das Leben gerettet hat. Er konnte es in ihren Augen sehen. Aber sie hat es auch ganz offen gesagt – zum Beispiel als sie sich mit Emilie vor ein paar Tagen über Facebook geschrieben hat: »Gut, dass Du bei Mattis gelandet bist. Hätte schlimmer kommen können.«
Ein kleiner roter Traktor steht auf dem Kies vor der Garage. Wie es wohl drinnen aussieht, fragt er sich, in der Wärme, bei ihr, bei Sebastian?
Wie es hätte sein können?
Die Tür geht auf, und ein Mann kommt heraus. Ein Mann, der da nicht hingehört. Er geht die Treppe hinunter und lächelt in sich hinein. Wie verdammt glücklich er aussieht. Wie Erna Pedersens Sohn auf dem Foto, das bei der alten Hexe an der Wand hing.
In diesem Moment schiebt sich ein Schleier vor seine Augen. Er merkt nicht, wie er losgeht, hört nur das Knirschen von Kies unter seinen Sohlen. Und er sagt nichts, sieht bloß, wie das Garagentor aufgeht und etwas glänzend Schönes, Teures zum Vorschein kommt. Er spürt seine Hände nicht, es gibt keine Verbindung zwischen Hirn und Händen, er hört weder den Schlag noch den Aufprall. Ihm ist nicht bewusst, was er getan hat, ehe er sieht, dass seine Knöchel rot von Blut sind.
72
»Wie zum Henker hast du das herausgefunden?«
»Scheiß drauf«, sagt Henning und versucht, mit Bjarne Schritt zu halten. »Was passiert jetzt?« Der Abstand zwischen ihnen wird mit jedem Schritt größer. »Wo willst du hin?«
Bjarne wirft ihm einen kurzen Blick zu, beschleunigt seine Schritte aber nur noch mehr. Henning versucht, ihm zu folgen, obwohl sein Körper mit jeder Faser protestiert. »Fährst du nach Jessheim?«, ruft er ihm nach, aber Bjarne rennt einfach weiter. »Kann ich mitfahren? Das hab ich mir doch wohl verdient, oder?«
Henning bleibt vor der Ausfahrt der Tiefgarage des Präsidiums stehen, in die Bjarne verschwunden ist. Es dauert nicht lange, bis sich unten aus der Dunkelheit ein Auto nähert. Reifen quietschen. Ein Keilriemen jault. Dann kommt ein grauer Volvo Kombi auf Henning zugeschossen. Er hält denkbar knapp vor ihm. Das Fenster ist hinuntergelassen.
»Steig schon ein, Mann!«
Emilie sieht erst Mattis’ blutüberströmtes Gesicht. Dann wird er in den Flur gestoßen, und ein Mann kommt hinter ihm zum Vorschein.
»Remi?«, sagt sie tonlos.
Remi schubst Mattis ins Wohnzimmer, macht auf dem Absatz kehrt und kommt mit weit aufgerissenen Augen auf sie zu. »Du!«, schreit er und zeigt auf sie. »Komm her!«
Emilie bleibt wie angewurzelt stehen. »Aber …«
»Komm her!«, wiederholt Remi.
Aus der Küche dringt leises Weinen, das rasch an Intensität zunimmt. Und Emilie sieht den Blick, den Remi in Richtung Küche wirft. Er kocht vor Wut.
Emilie stellt sich vor die Tür. »Bitte nicht
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