Verleumdung
hinaus und studiere fremde Kulturen oder so. Ich bin physische, also eigentlich forensische Anthropologin.«
»Das klingt gut – physisch!«
Und danach hatten sie nicht mehr viel Zeit mit Reden verschwendet, sondern waren zu anderen und interessanteren Methoden übergegangen, einander kennenzulernen. Das war mittlerweile lange her.
*
»Lucy Davies war der Name? Ja, hier ist Ihr Schlüssel. Das Zimmer wurde bereits im Voraus bis morgen bezahlt.«
Das Lächeln der Empfangsdame wurde breiter und etwas zu vertraulich. Das Hotel Skt. Petri hatte einen hohen Standard, ohne protzig zu sein, genau wie Peggy-Lee es bevorzugte. Über den Limousinenservice, der sie am Flughafen abgeholt hatte, konnte sie auch nicht klagen, so dass sie trotz Jetlags blendender Laune war, als sie im Hotel eincheckte. Die junge Frau an der Rezeption entsprach allen Klischees von den hübschen, blonden Skandinavierinnen, und sie lächelte dienstbeflissen.
»Und wie ich sehen kann, hat jemand dafür gesorgt, dass eine Flasche Champagner für Sie auf dem Zimmer bereitsteht.«
»Entfernen Sie die.«
»Aber … sind Sie sicher?«
»Entfernen Sie sie einfach, okay?«
Peggy-Lee schnappte sich die Schlüsselkarte aus der ausgestreckten Hand der Rezeptionsdame und ging zum Aufzug. Allmählich fing er an zu übertreiben. Es war diese Art von Ausrutschern, die sie daran zweifeln ließen, ob sie weiterhin für Kevin Love arbeiten sollte. Er war ein Emporkömmling wie sie, aber er war einfach nicht dazu imstande, sich zurückzuhalten. Meistens versuchte er es nicht einmal.
Peggy-Lee stieg im dritten Stock aus und ging zum Zimmer 307. Sie spürte, wie das Handy in ihrer Manteltasche vibrierte. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, konnte sie sehen, dass alle Informationen wie vereinbart eingetroffen waren. Das wiederum gehörte zu den Gründen, warum sie immer wieder gern Aufträge von dem extravaganten Briten annahm – es gab nie Probleme mit der Bezahlung und den Anweisungen. Sie lud die Koordinaten herunter, speicherte sie in ihrem GPS und ging dann ins Badezimmer, um Wasser in die Wanne einzulassen. Während sich die Badewanne langsam füllte, ging sie ein zweites Mal die Informationen durch, die sie erhalten hatte. Es war ein reiner Routinejob, der für heute Abend terminiert war, aber sie würde sich hüten, aus diesem Grund nachlässig zu werden. Genau, wie sie sich nie nach den Gründen fragte, warum die Menschen sie anheuerten. Alle überflüssigen Informationen oder Überlegungen konnten fatal sein. Das war einer der ersten Grundsätze, die man ihnen beim Sniper-Training im US Marine Corps eingeschärft hatte.
»Haltet nie inne und denkt darüber nach, dass ihr Menschen aus Fleisch und Blut im Visier habt. Dann habt ihr schon verloren. Sie sind nichts anderes als Zielscheiben, die sich zufällig bewegen.«
Peggy-Lee ließ sich in das heiße Wasser gleiten. Die Worte hatten brutal gewirkt, als ihr Lehrer sie damals vor bald zehn Jahren ausgesprochen hatte, aber mit der Zeit waren sie zur Routine geworden.
Und jetzt – dreiundsiebzig Volltreffer später – war Peggy-Lee Wu überzeugt davon, dass genau diese Einstellung sie in der Welt vorangebracht hatte.
22
A ls Linnea gerade wieder auflegen wollte, um stattdessen woanders anzurufen, meldete sich jemand. Sie beeilte sich, sofort mit ihrem Anliegen herauszurücken, damit sie wenigstens einem längeren privaten Telefonat entging, wenn sie schon so dumm war, Thor anzurufen.
»Hast du das Bild gesehen?«
»Ja, aber was soll das überhaupt darstellen? Ist das ein Scherz?«
Spätestens jetzt merkte sie, dass sie mit Richard Bodilsen sprach, da Thor nur für ein paar Tage vertretungsweise in dem Mordfall ermittelt hatte. Aber sie hatte sich schnell wieder gefangen.
»Deshalb rufe ich ja gerade an. Das ist Khalid.«
»Das müssen Sie mir erst mal erklären.«
Wenn sie sich nicht völlig täuschte, klang er tatsächlich ein wenig neugierig.
»Das ist ein völlig neues Bild. Die Methode nennt sich kraniofacial superimposition «, erklärte sie. »Ausgangspunkt ist das Foto von Khalid, das in Verbindung mit seinem Asylantrag aufgenommen wurde. Anschließend habe ich einen Scan von dem Schädel verwendet, den wir im Lammefjord gefunden haben, und ihn in einem 3D-Programm an genau dieselbe Position montiert wie im Foto. Danach habe ich die beiden Bilder übereinandergelegt, und das Resultat ist dieses etwas unheimliche Foto. Haben Sie es gerade vorliegen?«
Am
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