Verleumdung
anderen Ende der Leitung war ein zustimmendes Brummen zu hören.
»Wie Sie sehen können, habe ich einige Pfeile ergänzt. Markierungen, die auf Übereinstimmungen hinweisen, zum Beispiel auf die sinus frontalis, also die Stirnhöhle, deren Größe und Form bei jedem Menschen einzigartig sind.«
»Sie meinen also, dass der Tote mit Khalid identisch ist?«
»Ja. Wie Sie auf dem Bild sehen können, gibt es so viele Übereinstimmungen, dass ich an Ihrer Stelle davon ausgehen würde. Eine hundertprozentige Identifizierung kann ich Ihnen jedoch nicht liefern. Dafür bräuchte man einen Zahnabdruck oder Ähnliches.«
»Nicht schlecht«, sagte er überraschenderweise. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so viel herausfinden würden. Und deshalb frage ich Sie auch nicht, woher Sie das Foto haben und warum Sie es vorziehen, lieber mit Dinesen zu sprechen, anstatt mich zu informieren. Unter allen Umständen stimmt das hervorragend mit unseren Vermutungen überein. Wir haben die Akte des Mannes von der Ausländerbehörde angefordert. Und ihr Material bestätigt nur mehr, dass dies wohl kaum eine Sache ist, für die wir viele Ressourcen verschwenden sollten.«
Linnea traute ihren Ohren kaum. Sie hatte den ganzen Tag damit verbracht, ein Bild zu konstruieren, das so überzeugend war, dass die Polizei damit den Fall aufklären konnte.
»Aber es geht doch um Mord!«
»Können Sie denn mit Sicherheit ausschließen, dass es kein Selbstmord war? Soweit ich Ihrem Bericht entnehmen kann, ist der Einschusswinkel zwar ungewöhnlich, aber davon abgesehen, spricht nichts gegen die Möglichkeit, dass er es selbst getan hat. Man hat keine Tatwaffe gefunden, und wir haben keinen Grund zu der Vermutung, dass ihm jemand nach dem Leben trachtete. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde er nach dem Krieg von posttraumatischem Stress geplagt. Und soweit ich verstehe, gab es auch mit seinem Asylantrag Probleme. Irgendeine alte Geschichte, die zu seiner Abschiebung hätte führen können. Meiner Meinung nach erscheint ein Selbstmord unter diesen Voraussetzungen nicht besonders merkwürdig. Die Aussicht, wieder in den Irak zurückzumüssen und dort zu riskieren, als Verräter ermordet zu werden, war wohl kaum verlockend. Und in Anbetracht dessen, wo wir ihn fanden, ist es am wahrscheinlichsten, dass irgendein lichtscheues Gesindel die Waffe gefunden, eingesteckt und sich wenig darum gekümmert hat, dass dort eine tote Person lag. Wir haben die gesamte Gegend drei Tage lang mit Hunden und Freiwilligen abgesucht. Mehr Kräfte können wir in diese Sache nicht investieren, denn das Ganze scheint ja ohnehin nirgendwo hinzuführen.«
»Sie vergessen, dass er gefoltert wurde.«
»Unter Saddam Hussein wurden viele gefoltert. Und noch dazu haben sich manche Asylbewerber selbst verstümmelt, damit ihr Antrag bessere Chancen hatte.«
Doch Linnea blieb hartnäckig.
»Die Verletzungen wurden unmittelbar vor dem Eintritt des Todes zugefügt.«
Es entstand eine kurze Pause.
»Soweit ich mich erinnern kann, behaupten Sie das in Ihrem Bericht aber nicht mit derselben Sicherheit«, entgegnete Bodilsen. »Außerdem ist es doch so, jedenfalls in Dänemark, dass Mord nicht verjährt. Doch aus diesem Grund kann die Sache trotzdem in ihrer Wichtigkeit heruntergestuft werden. Momentan besteht kein Grund dazu, noch mehr Arbeit da hineinzustecken. Sie haben Ihren kleinen Pluspunkt für gute Arbeit errungen. Und ich freue mich, Ihr Bild zu dem Bericht hinzufügen zu können, damit wir die Sache mit einem Namen des Toten abschließen können.«
Und damit legte er auf und ließ Linnea mit dem Gefühl zurück, eine große Lachnummer zu sein. Khalid war Opfer eines brutalen Verbrechens geworden, aber niemand hatte vor, sich in diesem Fall zu engagieren. Der Tote war ein Flüchtling. Eine Person, die kein Land haben wollte und die aus diesem Grund auch niemand vermissen würde.
*
»Du musst einfach nur einen kühlen Kopf bewahren und darfst dich nicht ablenken lassen.«
Jonas nickte Lex zu und bemerkte, wie alle Merkregeln und Prinzipien aus seiner Ausbildung wieder auftauchten. Ihn stellte es zufrieden, dass er sein Training zu etwas gebrauchen konnte. Auch wenn der Gedanke grotesk schien, dass es diesmal ausschließlich um sein eigenes Überleben ging, dass er wusste, jemand trachtete ihm nach dem Leben, dass irgendwo ein Mörder lauerte – und der kleinste Fehler tödlich für ihn sein würde.
Natürlich hatte er im Irak auch an Kampfhandlungen teilgenommen. Doch
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