Verlieb Dich nie in einen Tierarzt
dachte Jill, während sie ins Sprechzimmer hinüberging. Nicht, daß er diese Kleintiernachmittage besonders liebte. Wie jeder Tierarzt hatte auch Matthew seine besonderen Lieblinge, und das waren Hunde und Pferde. Dennoch behandelte er seine anderen Patienten mit der gleichen Liebe und Sorgfalt, und die Donnerstagnachmittagspatienten, so eigenartig die Tiere und ihre Besitzer auch sein mochten, fanden sein freundliches Wohlwollen.
»Wer ist der erste?« fragte Jill, als sie wieder ins Wartezimmer kam.
Einmütig entschieden sich die anderen fünf Wartenden für die weißhaarige Dame mit dem lustigen Hund. Diese zögerte aber. »Sind Sie sicher? Drei von uns sind doch fast gleichzeitig angekommen. Ich kann gerne warten.«
»Nein, Sie waren zuerst da, gehen Sie hinein«, drängten sie die anderen freundlich, und Jill lächelte. Nur das Mädchen mit dem Collie war noch immer wütend und drängte sich jetzt vor: »Nun, wenn es niemand eilig hat, ich habe es eilig...« Aber Jill beachtete sie nicht und schob die weißhaarige Dame ins Sprechzimmer.
Die Diagnose war schnell gestellt, und Matthew lieferte im folgenden ein weiteres Beispiel für seine verschiedenen »Gesichter«.
Matthew pflegte zu den einzelnen Tieren auf den Karteikarten drollige Randbemerkungen zu verfassen, und heute wurde er dabei ertappt.
Nachdem er den Namen der Tierhalterin ausgefüllt hatte, fragte er nach dem Namen der Hündin. Die weißhaarige Dame zögerte, bevor sie antwortete. »Wir nennen sie >Maggie<, eine Kurzform von >Magnolie<.«
Matthew zuckte weder mit Wimper noch Mundwinkel, aber Jill vermied es, ihm in die Augen zu sehen. Sein Ausdruck mußte ihn verraten haben, denn die Hundebesitzerin warf einen Blick auf seine Notiz. »Magnolie, mein Gott!« las sie vor, und Matthew sah einen Augenblick lang schuldbewußt wie ein bei einem Streich ertappter Schuljunge aus. Dann lachten alle drei Tränen. Als sie sich etwas beruhigt hatten, erklärte die Frau, wie »Magnolie« zu ihrem Namen gekommen war. »Als wir das kleine Häufchen Elend auf unserer Türschwelle fanden, dachten wir, wir müßten ihm einen schönen Namen geben, damit sie schön würde. Den Gefallen hat sie uns aber nicht getan.« Sie lachten fröhlich, und die Frau sagte: »Ich wohne in Wardston und habe dort von Ihnen gehört, Mr. Webster. Von nun an werde ich Magnolie immer zu Ihnen bringen.«
Zu Matthew mit dem »Schuljungengesicht«, dachte Jill, denn das hatte er zweifellos, wenn er heimlich kleine Unverschämtheiten auf seine Karteikarten schrieb.
Die Nachmittagssprechstunde ging weiter, und die meisten Sorgen konnten glücklich behoben werden. Jill betrachtete die Besitzer der behandelten Tiere und stellte befriedigt fest, wie erleichtert sie waren, als sie weggingen.
>Der Beruf des Tierarztes kommt wirklich gleich nach dem des praktischen Arztes, und Matthew ist so freundlich zu all diesen kuriosen Leuten.<
Doch kaum hatte sie das gedacht, zeigte Matthew ein weniger freundliches Gesicht. Zwar erlebte sie nicht alles mit, was sich zwischen Matthew und der Collie-Besitzerin abspielte, aber der Anfang hatte ihr schon gereicht.
»Ich habe jetzt fast eine Stunde gewartet, während Sie die ganze Zeit diese widerlichen Bastarde behandelt haben. Das Mädchen, das Sie da haben, ließ mich nicht als erste vor«, beklagte sich die arrogante Pute bei Matthew.
Seine Antwort war kurz und trocken. »Jenes Mädchen, das zufällig meine Frau ist, kennt die Regel. Jeder wartet hier, bis er an der Reihe ist.«
Das war kein glücklicher Anfang, und Jill wunderte sich auch nicht, als die junge Dame murrend aus dem Sprechzimmer kam. »Ein schrecklicher Mann. Hier komme ich nie wieder her.«
Bestimmt hatte er ihr sein »Kanarienvogelgesicht« gezeigt, wie Jill es seit jener Nacht, da sie über Matthews Gesichter sprach, zu nennen pflegte.
11
Eines Morgens rief Evelyn in der Praxis an und fragte in entschuldigendem Tonfall: »Ich weiß, daß ich Matthew immer störe. Ist er da?«
»Nein, Evelyn, bedaure. Ich befürchte, daß er erst am späten Nachmittag zurückkommt. Er hat eine Menge Anrufe bekommen und muß zu verschiedenen Leuten fahren, die alle weit auseinander wohnen. Soll ich versuchen, ihn zu erreichen?«
»Nein, auf keinen Fall. Aber ich sitze in der Klemme. Ich brauche unbedingt noch ein Paar Hände.«
»Ich könnte Großvater anrufen, daß er herkommt, um die Anrufe anzunehmen. Ich komme dann schnell. Es wird doch sicher nicht lange dauern?«
»Ich
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