Verlieb Dich nie in einen Tierarzt
fest: »Jill kann uns zwar nicht behilflich sein, wenn wir den Vogel anfassen müssen, aber sie kann ihm dann den Whisky in die Gurgel träufeln. Bringst du das fertig, Jill, wenn wir das Biest festhalten?«
»Ich glaube schon, aber ich habe das dumpfe Gefühl, als ob ich zunächst einen Whisky bräuchte.«
»Du wirst jetzt keinen Schluck trinken, du brauchst eine sichere Hand. Hier ist die Flasche und hier die Pipette. Du gehst am besten hinaus, bis wir den Vogel in der richtigen Lage haben.«
Das mußte Jill nicht zweimal gesagt werden. Als sie zurückkam, war die Möwe aus ihrem Holzverschlag heraus, und
Rachel drückte den Vogel sachte auf den Boden. Die Frau machte einen völlig ruhigen Eindruck und ließ keinerlei Angst erkennen. Mit einer Hand hielt sie den Körper des Vogels fest, mit der anderen seinen Hals, so daß er nicht nach Evelyn hacken konnte, als diese ihm das Gummiband um den furchterregenden Schnabel wickelte. Jill schaute mit weitaufgerissenen Augen zu und bebte am ganzen Körper. Jetzt konnte der gebändigte Vogel seinen bedrohlichen Schnabel nur noch wenige Zentimeter öffnen — weit genug, damit Jill ihm gefahrlos den Whisky einflößen konnte.
Obwohl die Möwe derartig behindert war, machte sie unvermindert wütende Angriffsversuche. Sie schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf und versuchte verzweifelt, ihre Retter mit Schnabelhieben zu treffen.
»Jetzt, Jill! Den Whisky! Laß die Pipette vollaufen und gib es ihm tropfenweise in den Schnabel. Stell dich doch nicht so dumm an!«
Jill, die Rachels Mut bewunderte, brachte es tatsächlich fertig, dem Vogel den Whisky einzuflößen. Sie ließen dem Vogel zehn Minuten Pause, dann wiederholten sie die Prozedur. Mit der Zeit tat der Alkohol seine Wirkung. Der große Kopf des Vogels sank allmählich zur Seite, der Körper des Tieres erschlaffte. »Der ist ruhiger als ich«, gab Jill ihren Kommentar. »Noch nie in meinem Leben war ich so entsetzt, wie in dem Augenblick, als ich in die Reichweite dieses schrecklichen Schnabels kam.«
»Der Schnabel ist fast zu, und der Vogel wird immer ruhiger. Gib ihm jetzt mehr Whisky, Jill!«
Die dritte Dosis verfehlte ihre Wirkung nicht, und die Möwe war — wie Evelyn sich ausdrückte — »selig besoffen«. Unverzüglich schritten Evelyn und Rachel zur Tat. Evelyn stieß einen bangen Schrei aus. »Ich kann den Flügel nicht schienen oder sonst was unternehmen. Ich kann ihn nur auf die richtige Seite binden. Den Rest muß Matthew besorgen. Soweit hätten wir’s, du armes Ding. Die Binde wird halten, und wir können den Vogel zunächst wieder in seinen Kasten legen.«
»Du weißt sicher, Evelyn, daß mindestens der halbe Flügel amputiert werden muß«, stellte Rachel fest. Sie sagte es mit einer solchen Ruhe, daß Jill die Augen hervortraten.
»Ja, das befürchte ich auch. Doch warten wir ab, was Matthew dazu meint. Zunächst können wir uns ja einen Kaffee kochen. Du hast ihn dir redlich verdient, Rachel. Ich weiß zwar nicht, ob sich Jill auch eine Tasse verdient hat, aber wir werden ihr trotzdem eine geben.«
»Nein, ich trinke jetzt keinen Kaffee. Ich muß nach Hause, für den Fall, daß Großvater mich braucht.«
Wie unter einer plötzlichen Eingebung drehte sie sich unverhofft um und forderte Rachel auf: »Komm doch mit. Großvater wird sich freuen, dich zu sehen.« Sie war angenehm überrascht, als Rachel ihre Einladung annahm. Evelyn ging mit Jill hinaus zu ihrem Wagen, während Rachel die Küche säuberte. Jill sagte mit einem bewundernden Unterton in der Stimme: »Ich hätte nie gedacht, daß Rachel so tapfer ist. Sie machte immer einen so bescheidenen und lammfrommen Eindruck.«
Evelyn lachte: »Frag mal den Bastard Jim Wood, wie bescheiden und lammfromm seine Frau ist!« Das war alles, was sie dazu sagte. Sie winkte Rachel herzlich zum Abschied zu, als diese ihren Wagen anließ.
Irgend etwas an Evelyns Worten verwirrte Jill. Und später sagte sie zu ihrem Großvater: »Ich würde Rachel gerne näher kennenlernen. Sie hat so viele verschiedene Seiten.«
»Das stimmt in der Tat, und ich freue mich, mein Kind, daß du das bemerkt hast.«
Und so begann eine Freundschaft, die Jill schon lange ersehnt hatte. Nach und nach kam Rachel aus ihrer Muschel heraus. Wenn sie in die Siedlung fuhr, dann schaute sie immer auf einen Sprung in die Praxis hinein. Jill meinte nachdenklich zu Matthew: »So hat mir dieser grauenhafte Vogel doch etwas Positives gegeben. Erst durch dieses widerliche Abenteuer
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