Verlieb dich nie in einen Vargas
prall gefüllt, dass sie sich wellen und biegen und kräuseln, und meine Augen werden groß, als Celi mit den Fingerspitzen über den Buchdeckel fährt, der schwarz und stumpf ist und übersät mit silbernen Glitzerherzen und -sternen und Zeilen schwermütiger Gedichte. Im flackernden Kerzenlicht wirkt all das gleichermaßen unheildrohend.
Meine Schwestern wachen über das Buch wie über ein Geheimnis. Sie setzen allerlei Zaubersprüche und Beschwörungen ein, um mich darüber im Dunkeln zu lassen. »Nur diejenigen, deren Namen mehr als eine Silbe haben, dürfen in die Geheimnisse des Buches eingeweiht werden«, sagte Celi mehr als einmal. »Sie, der ein Blick in das Buch gewährt wird, muss zuerst ein Blick auf sich in einem BH gewährt werden«, neckte Mari mich eines Sommers, als ich besonders erpicht darauf war, einen Blick hineinzuwerfen. Das Ganze hatte begonnen, als Lourdes in die Oberstufe kam. Es war irgendein Kunstprojekt, bei dem es darum ging, Emotionen in kreative Energie zu verwandeln und die Tiefen der Seele auszuloten. Sie sollten ein Tagebuch führen und ihre persönlichen Tragödien festhalten. Kummer, Verlust, Tod, Ängste, Enttäuschungen. Sie hängte sich total rein, und es wurde eher ein Sammelalbum als ein Tagebuch, es wurde selbst zum Kunstwerk. Als Mari später dieselbe Aufgabe gestellt bekam, erklärten sie es zur Tradition, und Lourdes gab das Buch an sie weiter, und danach war die Reihe an Celi.
Ich weiß das alles, weil ich Mari eines Abends dabei überraschte, wie sie es durchblätterte, und sie mir davon erzählte. Aber als ich sie um eine eigene Seite anflehte? »Nicht, ehe du nicht sechzehn bist«, sagte Mari. »Dann wirst du in alles eingeweiht und das Buch wird dir gehören.«
Hier ist die Sache, die meine Schwestern dabei völlig vergessen: In vier Jahren, wenn ich endlich sechzehn werde, wird niemand mehr hier sein, um mich einzuweihen.
Celi schlägt das Buch auf und sein Rücken knarzt.
»Wann hast du das Ding das letze Mal geöffnet?«, fragt Mari, als ein paar Blätter zu Boden flattern. »Eigentlich sollst du Sachen darin festhalten.«
Celi steckt die losen Gegenstände zurück zwischen die Seiten. »Das hier ist meine erste Tragödie.« Ihre Augen füllen sich wieder mit Tränen.
Lourdes nimmt das Buch und blättert zu ein paar leeren Seiten ganz am Ende. Der Rest quillt über, Schriftzüge wirbeln über die Seiten, dazu Fotos und Postkarten und Aufkleber. Ich halte ehrfürchtig den Atem an.
Mari durchstöbert den Stapel von Johnnys Sachen, die Celi ihr anbietet. Abgerissene Konzertkarten. Ein Bouquet aus vertrockneten, dunkel gewordenen Rosen. Eine Geburtstagskarte. Ein handgeschriebener Brief auf einem losen Zettel. Kritzeleien, Namen, Herzen. Eine ihrer Hochzeitseinladungen. Ein paar Fotos. »Das war’s?«
Celi zuckt mit den Schultern. »Den Rest muss ich erst hervorkramen. Alle anderen Fotos sind digital.«
»Gut. Lösch sie. Und verbrenn alles, was du sonst noch von ihm findest.« Mari schneidet tiefe Xe in Johnnys Augen auf dem ersten Foto.
Ich kann nicht fassen, dass Celi Mari die Sachen zerstören lässt. Gebrochenes Herz hin oder her, das hier sind Celis Erinnerungen. Der Beweis dafür, dass sie existiert hat, dass sie jemanden geliebt hat, selbst wenn am Ende der Verrat stand.
Auf die erste freie Seite klebt Mari die jetzt gesichtslosen Fotos. Sie zerreibt einige der getrockneten Rosen und pappt die dunklen Brösel neben die Fotos. Ans Ende der Seite kritzelt sie mit einem Edding das Datum.
»Weißt du, was du in dieses dämliche Buch schreiben kannst?« Celis Augen sprühen plötzlich Funken. »Scheiß auf Johnny. Scheiß auf Blackfeather. Ich haue hier ab. Nach New York vielleicht. Ich habe die Berge satt, ich habe Johnny satt und seine dämlichen Karamellaugen und seine dämliche Visage und diese ganze dämliche Hochzeit. Ich werde niemals heiraten. Schreib das auf. Und dann kannst du das Buch nehmen und es verbrennen, weil ich es nicht mehr brauche. Keine Liebe mehr heißt kein gebrochenes Herz mehr. Jemals. Okay?«
»New York?«, sagt Mari.
»New York.« Celi meint, was sie sagt. Sie wollte schon immer dorthin. Der einzige Grund dafür, dass sie noch hier ist, lautet Johnny. Er will in Telluride leben, ein Luftschloss aus Stein bauen.
»Jetzt brauche ich definitiv noch eine zu rauchen.« Mari wirft das Buch auf das Bett hinter sich und macht Celis Anlage an, wenn auch leise. Während sie an ihrer Zigarette pafft, wippt ihr Kopf im Takt der
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