Verlieb dich nie in einen Vargas
Albträume. Ich kam wir wie ein Voyeur vor, der versehentlich ihren intimen Kummer bespitzelte.
Es war entsetzlich. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es für sie war; was es hieß, von dem Menschen verletzt zu werden, den man über alles liebte. Dylan und ich hatten uns nicht geliebt. Im Grunde waren wir irgendwann einfach gelangweilt voneinander und machten in beiderseitigem Einvernehmen während der Mittagspause Schluss. Wir waren sogar Freunde geblieben – zumindest bis zum BHS -Picknick. Nach Dylan hatte ich ein paar Verabredungen, hatte bei Partyspielchen ein paar Jungs geküsst, aber ich hatte nichts erlebt, das mit dem vergleichbar gewesen wäre, was Celi und Johnny verband. Nichts, das auch nur annähernd Liebe gewesen wäre. Nicht ein Mal.
Ich strich erneut mit der Hand über die Seite, zog die Umrisse der pergamentenen alten Blume nach. Selbst wenn meine Schwestern das Buch an mich weitergereicht hätten, als ich sechzehn wurde, so wie ich es mir immer gewünscht hatte, hätte es jetzt noch genau so ausgesehen. Ich hätte die letzten Seiten nie gefüllt.
Ich hatte noch nie ein gebrochenes Herz gehabt.
Erinnerungen an Celi zogen flackernd an mir vorüber, die vielen Tränen, der tiefe Schmerz, der sich ihr ins Gesicht gegraben hatte. Aber was mir in diesem Moment von jener ersten Nacht in Celis Zimmer am deutlichsten vor Augen stand, war nicht ihr Schmerz. Es war nicht die Bedrohung, die von den Vargas-Jungs ausging, oder der Geruch von Maris Zigaretten oder die verkohlten Fotos oder zerdrückten Blumen oder die unzähligen verbrauchten Taschentücher. Es waren nicht unsere Unterschriften in diesem Relikt von einem Buch oder die vielen Geschichten gebrochener Herzen, die es enthielt.
Es war der Schwur selbst, das feierliche Versprechen, das keine von uns Celis vernarbte Wunden erneut aufreißen würde, indem sie sich in einen Bruder des Jungen verliebte, der sie beinah zerstört hätte.
Als wollten sie mich daran erinnern, schmerzten die nadelstichgroßen Narben in der Mitte meiner Hand plötzlich.
Emilio Vargas .
Unabhängig davon, ob er verschwinden würde, nachdem wir das Motorrad repariert hatten, und ich ihn nie wiedersehen würde, unabhängig davon, ob Araceli je erfahren würde, dass er hier gewesen war …
Ich hatte den Schwur gebrochen.
An dem Tag, als ich aus dem Duchess auf die Straße trat, wohl wissend, dass wir gerade den jüngsten Vargas-Bruder engagiert hatten, wohl wissend, dass wir den Großteil des Sommers zusammen verbringen würden, wohl wissend, dass wir vielleicht sogar Freunde werden würden … Das war der Tag, an dem ich meine Familie verraten hatte.
Die Schuld brandete siedend heiß durch meine Brust, aber wenn ich daran dachte, alles rückgängig zu machen, wenn ich mir vorstellte, die Harley unter die Abdeckplane zu packen und Papi zu sagen, dass wir wieder Scrabble spielen und angeln gehen würden, sah ich Papis gebrochenes Herz hellrot bluten. Ich sah ihn aufgeben, sich dem Dämon unterwerfen und zulassen, dass seine Erinnerungen an Valentina in die Dunkelheit entglitten, in die verwirrende graue Suppe davonwirbelten, in der alles eines Tages enden und – wenn die Ärzte recht behielten – sterben würde.
Und ich wusste, egal, was mit meinen Schwestern war, ich würde es niemals rückgängig machen.
Nie, niemals.
12
»Er trinkt ihn schwarz«, sagte ich.
»Zu viel Säure.« Mari gab einen Schuss Milch in Papis Morgenkaffee. »Durch die ganzen Medikamente, die er nimmt, ist sein Magen viel empfindlicher geworden.«
Warum habe ich das bisher nicht gewusst?
Mari stellte den Becher neben Papis neue Frühstücksbausteine auf den Küchentisch: klumpiger Haferbrei, ein Schüsselchen Apfelmus, ein hart gekochtes Ei und ein Sudokuheft. Seine Tabletten lagen auch da – die gleichen, die ich ihm gegeben hatte, aber sie hatte sie in eine ordentliche kleine Reihe gebracht, von der kleinsten bis zur größten.
»System und Wiederholung sind wichtig«, sagte sie, als ich beim Anblick des Arrangements die Augenbrauen hochzog.
Mein Nacken wurde heiß und kribbelte, und ich musste mir ins Gedächtnis rufen, dass das nun mal Maris Art war – hereinschneien, alles über den Haufen werfen und neue Regeln aufstellen.
Und dennoch, nicht alles musste über den Haufen geworfen werden. Womöglich hatte ich das mit dem Kaffee vermasselt. Womöglich ließ ich Papi beim Scrabble zu leicht mit dem Schummeln davonkommen und ihn ein bisschen zu viel Fernsehen gucken, wenn er sich
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