Verlieb dich nie in einen Vargas
Rücken. Schwermut, weil er seine alte Gang verlassen und aufgehört hatte, Valentina zu fahren. Schuld, weil ich das Gefühl hatte, dass wir dafür verantwortlich waren. Dass sich für ihn vielleicht alles zum Guten gewendet hätte, wenn er nie aufgehört hätte, Motorrad zu fahren, wenn er niemals von der Straße der unendlichen Möglichkeiten nach Blackfeather abgebogen wäre, zu einer Frau, einem Haus und vier Töchtern. Wenn er dort geblieben wäre, würde er wahrscheinlich noch immer Motorrad fahren, und er würde weiter das Leben führen, das er eigentlich führen sollte, keine falschen Abzweige, keine Sackgassen. Kein Leerlauf oder Freiräume, in die El Demonio eindringen konnte, um alles in Flammen aufgehen zu lassen.
»Guck nicht so ernst, querida . Es ist bloß ein Foto.« Papi griff über den Tisch, um meine Hand zu tätscheln, und holte mich damit zurück in die Gegenwart. Seine andere Hand ruhte auf der Aufnahme eines Motorrads, das sich teilweise um einen Baum gewickelt hatte. Einer der Jungs stand vollkommen entgeistert daneben.
»Wer ist das?«, fragte ich.
»Benny war unser Draufgänger. Ein Hurensohn mit mehr Glück als Verstand«, sagte Papi. »So nannten wir ihn. Er sprang vor dem Zusammenprall hier ab. Hatte nicht einen Kratzer. Aber er verlor sein Motorrad, fuhr danach wieder eine Honda.«
»Ihr Typen wart alle verrückt«, sagte Mari.
»Verrückte Zeiten, ja. Großartige Zeiten.« Papi schüttelte den Kopf, die Andeutung eines Lächelns umspielte seine Lippen. »Ja, das damals waren echt verrückte Zeiten.« Einen Moment dachte ich, er würde in Tränen ausbrechen, doch als er mich ansah, waren seine Augen voller Leben. »Meine Mädchen würde ich aber trotzdem gegen nichts auf der Welt eintauschen.«
Er lehnte sich vor und küsste meine Stirn, und als er nach oben verschwand, um das Album wegzuräumen, schenkte Mari zwei frische Becher meines Dark-Moon-Kaffees ein und setzte sich zu mir an den Tisch.
»Er erinnert sich an alles aus seiner Bikerzeit, was?«, sagte sie.
»Es ist total … unfair.« Ich nahm einen großen Schluck Kaffee, um meine Gefühle in Schach zu halten, hatte damit aber keinen Erfolg. »Er wird sich wahrscheinlich immer an die Geschichte mit Mom erinnern. Aber eines Tages wird er nicht mehr wissen, dass die Frau, die hier lebt, das Mädchen ist, das er in dem Diner angesprochen hat. Er wird denken, sie sei eine andere. So als wäre die Frau, die er liebt, immer noch irgendeine neunzehnjährige Kellnerin in Argentinien.« Ich wischte mir eine Träne von der Wange und streckte die Hand nach einem von Susanas Plätzchen aus. Mari nahm sich auch eins.
»Ich weiß, dass es schwer ist, Juju«, sagte sie zwischen zwei Bissen. »Und es ist ätzend, dass du den letzten Sommer deiner Kindheit dafür opferst. Du verpasst alles.«
Ich zupfte an einem losen Faden von einem von Moms Stoffdeckchen. Es mochte ja sein, dass ich einen Teil meines Sommers geopfert hatte, aber wir hatten bereits den vierten Juli, und was hatte ich schon groß verpasst? Blöde Jungs im Witch’s Brew anzuschmachten? Schillernde Gestalten, die anzusprechen wir uns im Leben nicht getraut hätten? Den Versuch, einen letzten tollen Sommer zu erzwingen, bloß weil wir im Herbst alle aufs College gehen würden und dies das Ende war, unsere letzte Gelegenheit, noch einmal Kind zu sein? Und sowieso, was sollte das überhaupt heißen? Dass ich draußen in Mr Turtles Pool wäre, Glühwürmchen mit einem Einmachglas fangen und mit einem Dollar in der Hand dem Eiswagen hinterherlaufen würde, wenn Papi nicht krank wäre?
Auf gar keinen Fall. Unsere letzte Gelegenheit, Kind zu sein, war vor Jahren verstrichen, lange bevor Papi krank geworden war. Lange bevor meine Schwestern ihr kleines schwarzes Buch füllten. Lange bevor eine von uns ahnte, was es hieß, ein gebrochenes Herz zu haben.
»Ich habe nicht den ganzen Sommer geopfert«, sagte ich. »Ich fahre nächsten Monat immer noch nach Sand Dunes. Ich versuche nur … Ich bemüh mich, okay?«
Mari schob sich noch ein Plätzchen in den Mund und spülte es mit einen Schluck Kaffee runter. »Ich schätze, ich hab mich wie ein Feldwebel aufgeführt, seit ich hier bin, was?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Wir machen uns alle Sorgen um ihn. Ich versteh das.«
Mari schüttelte den Kopf. »Ich war stinksauer auf dich. Du wusstest, dass ich kommen würde, und du hast Emilio mit keinem Wort erwähnt. Vielleicht siehst du das nicht so, vielleicht erinnerst du dich
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