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Verlieb dich nie nach Mitternacht

Verlieb dich nie nach Mitternacht

Titel: Verlieb dich nie nach Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Kent
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der Mann. Sie war schon halb draußen, als ihm noch etwas einfiel.
    »Ich klingel, wenn ich fertig bin.«
    *
    Maribel griff in die Tasche ihres Overalls, fand den Haustürschlüssel und öffnete die Tür zu ihrer eigenen, kleinen Wohnung. Auf der Schwelle verharrte sie einen Moment und sah sich um. Direkt in der Diele neben der Badezimmertür stand der kleine Spiegelschrank, den sie noch an die Wand dübeln musste. Ein paar Bilder, für die sie noch nicht den richtigen Platz gefunden hatte, warteten an der Wand hinter dem Sofa auf sie. Sie erschrak, als sie aus ihrem Schlafzimmer Stimmen hörte.
    »Boris?« Die Stimmen redeten weiter. Im Vorbeigehen griff sie nach einem Kleiderbügel, der an der Garderobe baumelte. Sie hielt ihn wie eine Waffe und schlich vorsichtig weiter.
    »Andrej?« Nur noch wenige Zentimeter fehlten bis zur Schlafzimmertür. Mit der Hand stieß sie die Tür auf. Ängstlich verharrte sie auf der Schwelle.
    Niemand sprang sie aus dem Hinterhalt an.
    Zögernd betrat sie das Zimmer, stand schließlich mittendrin, die Kleiderbügelwaffe vor dem Körper. Ihr Blick flog durchs Zimmer, während sich ihr Herz fast überschlug. Kein Mensch war zu sehen. Das Fernsehgerät lief. Die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens flimmerte über den Bildschirm. Das Rüschenhemd von Ebenezer Scrooge erinnerte Maribel an Andrej und Friedrich.
    Maribel warf sich aufs Bett und begann zu weinen.
    *
    Maribel war froh, dass sie wegen der Feiertage kaum unter Menschen musste. Wie nach einem intensiven Traum wurde die Alltagsroutine, an die sie sich wie eine Ertrinkende klammerte, immer wieder von Erinnerungsfetzen durchbrochen.
    Sie ertappte sich dabei, wie sie ihr dreckiges Geschirr mit der Hand spülte, obwohl sie eine Spülmaschine besaß. Verzweifelt suchte sie in der Wohnung nach einem Waschbrett, um erst danach zu begreifen, dass sie für die Wäsche eine Waschmaschine besaß. Mit der Fernbedienung switchte sie sich von einem Kanal zum nächsten, um bei einer Sendung über russische Donpferde hängen zu bleiben.
    Maribel badete heiß, in der Hoffnung, dass der Badezusatz nicht nur den Körper, sondern auch ihre Seele reinigte. Als sie aus dem Wasser stieg, betrachtete sie im Spiegel ihren dampfenden Körper kritisch.
    War sie begehrenswert?
    Wie hatte sie auf Boris gewirkt?
    Oder war Andrej der letzte Mann, der sie geliebt hatte?
    Das wutverzerrte Gesicht von Friedrich tauchte aus ihrem Unterbewusstsein auf. Ihr fröstelte bei der Erinnerung. War es möglich, dass eine einfache Ohnmacht, ein Traum, den sie gehabt hatte, derartige Nachwirkungen zeigte?
    Was war noch real?
    *
    Nach zwei Tagen war Maribel so verwirrt, dass sie fürchtete, den Verstand zu verlieren. Wenn sie nicht verrückt werden wollte, musste sie sich Gewissheit verschaffen.
    Zwischen den Jahren war die städtische Bücherei geschlossen, deshalb begann sie mit ihrer Suche im Internet. Sie tippte das Wort Zeitreise als Suchbegriff ein und wartete ab, was geschah. Die Liste der Hits war beachtlich. An die tausend Treffer wurden aufgeführt, meistens handelte es sich um Berichte zu Fernsehsendungen oder um Bücher. Sogar Klassiker wie H. G. Wells und Mark Twain hatten zu dem Thema fabuliert.
    Sind Zeitreisen möglich?, spezifizierte Maribel ihre Frage. Wieder an die tausend Antworten, doch dieses Mal sehr viel präziser.
    Bemerkenswerte Fortschritte in der Quanten-Gravitation lassen die Theorie der Zeitreise wieder aufleben … Einsteins Gleichungen enthalten Lösungen, die Zeitreisen ermöglichen … Das schwarze Loch kollabiert zu einem Ring, der sich verhält wie Alices Spiegel. Wer durch den Ring geht, stirbt nicht, sondern gelangt in ein alternatives Universum … Jeder Eingriff in die Zeit erzeugt einen alternativen Zeitablauf, ohne den anderen zu beeinflussen … Stephen Hawking ist gegen Zeitreisen. Stephen Hawking ändert seine Meinung.
    Von den theoretischen Überlegungen entnervt, fuhr Maribel den Computer herunter. Ein Gedanke blieb jedoch in ihrem Gedächtnis haften: Wenn Zeitreisen möglich waren, beeinflussten sie nicht die Gegenwart. Dann verhielten sie sich wie Flüsse, die nebeneinander existierten. Dann war es möglich, fast drei Monate auf einem Gutshof des neunzehnten Jahrhunderts am Niederrhein zu verbringen, aber im Heizungskeller der Gegenwart in derselben Situation aufzuwachen, in der man ihn verlassen hatte.
    Maribel zog ihre Jacke an, nahm den Bund mit den Hausschlüsseln vom Haken und zog die Wohnungstür hinter sich ins

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