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Verlieb dich nie nach Mitternacht

Verlieb dich nie nach Mitternacht

Titel: Verlieb dich nie nach Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Kent
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riskieren, dass es brach und die Pferde vor Schreck davongaloppierten. Nicht in dieser Nacht. Nicht mit der geschwächten Agnes und dem Baby in der Kutsche.
    »Aber die Tür im Heizungskeller? Hinter dem Kessel war eine Tür. Sie haben den Weg dahinter doch selbst benutzt.«
    »Und ist dir die Tür vorher schon einmal aufgefallen?«
    »Wie sollte sie denn? Ich bin vor zwei Tagen erst eingezogen. Ich war zum ersten Mal in dem verdammten Keller.« Maribels Stimme drohte zu kippen. Inbrünstig hoffte sie nun, dass es sich nur um einen Traum handelte, aus dem sie jede Sekunde erwachen würde.
    »Steig auf.« Friedrich zeigte auf den Kutschbock, wartete darauf, ihr hochzuhelfen. »Ich bin kein Unmensch, der sein Gesinde in der Kälte umkommen lässt.«
    Maribels Blick flog durch die Dunkelheit auf der Suche nach Hilfe. Außer ihnen war keine Menschenseele zu entdecken. Das Mietshaus, für das sie verantwortlich war, und das Gewerbegebiet blieben verschwunden. Wenn sie nicht ihren eigenen Tod riskieren wollte, hatte sie keine Wahl, als Friedrich zu vertrauen. Wenigstens für eine Nacht.
    Doch als sie ihm die Hand reichte, damit er ihr auf den Kutschbock helfen konnte, zögerte sie erneut.
    »Was für ein Tag ist heute?«
    »Wir zählen den Morgen des 25. Dezember 1813.«
    »1813?!«, krächzte sie verstört, während er eine Hand an ihr Hinterteil legte und sie mit einem schwungvollen Stoß nach oben auf den Bock beförderte.
    Gehorsam rutschte sie zur Seite, als er sich neben sie setzte und die Zügel in beide Hände nahm. Er schnalzte mit der Zunge. Die Pferde zogen an.
    »Zweihundert Jahre zurück. Das ist Vergangenheit!«, wunderte sich Maribel. »Das macht keinen Sinn. Das ist verrückt. Gaga. Unmöglich.«
    Friedrich zog es vor, zu schweigen. Angesichts von Maribels Fassungslosigkeit fiel ihm kein passender Kommentar ein. Er gab ihr Zeit, sich zu beruhigen.
    Maribel, für die schon die Fahrt in einer überfüllten U-Bahn eine Herausforderung an ihre körperliche Leidensfähigkeit darstellte, wurde auf dem Bock hin- und hergeschüttelt. Mit beiden Händen klammerte sie sich an den Sitz, um nicht hinuntergeworfen zu werden. Der Fahrtwind schnitt ihr in die Haut. War ihr vorher bereits kalt gewesen, verlor sie nun endgültig jedes Gefühl für die Temperaturen, die um sie herum herrschten. Zur Eissäule erstarrt, hockte sie neben Friedrich auf dem Bock, der die Pferde entschlossen antrieb. Nur vage streifte Maribel der Gedanke an Agnes, die zur selben Zeit zusammen mit ihrem Neugeborenen in der Kutsche herumgeschüttelt wurde. Maribel fühlte sich viel zu müde, um Mitleid zu empfinden.
    Ihr wurde schwarz vor Augen. Als Letztes spürte sie, wie sie zur Seite kippte, direkt gegen Friedrichs Schulter.

X
    Maribel wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte, aber als sie erwachte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Mitten im Winter waren ihre Strahlen zu schwach, um wirklich zu wärmen, doch sie kitzelten Maribel in der Nase, und davon wachte sie auf.
    Eine kurze Weile noch hielt sie die Augen geschlossen und versuchte, sich an den Geräuschen zu orientieren, die sie umgaben: das gedämpfte Muhen einer Kuh, das Maunzen eines Kätzchens. Irgendwo, nicht weit entfernt, zerbrach eine tönerne Schale klirrend am Boden. Sekunden später das Klatschen einer flachen Hand auf einer Wange und der schrille Schmerzensschrei eines Kindes. Eine unangenehm keifende Frauenstimme ließ ein verbales Donnerwetter folgen. Das schadenfrohe Gelächter eines Mannes. Dann plötzlich verstummten die Stimmen. Stattdessen rollten Eisenräder über Steinpflaster, ertönte das laute Klappern von Pferdehufe. Erneut erklangen Stimmen, diesmal scharf und befehlend.
    Maribel wunderte sich, wie viele Geräusche sie auseinanderhalten konnte. Eine Fähigkeit, die sie gleich darauf bedauerte. Denn das hohe Piepsen ganz in ihrer Nähe stammte ohne Zweifel von einer Maus. Maribels Lebensgeister waren immerhin so weit zurückgekehrt, dass sie es wagte, die Augen aufzuschlagen. Hätte die Maus unmittelbar vor ihr auf dem Bettzeug gesessen und ihr ins Gesicht gestarrt – Maribel hätte sich nicht gewundert. Wer eine Zeitreise hinter sich hatte, der hielt auch eine solche Kleinigkeit für möglich.
    Aber das Schicksal ersparte ihr den Anblick. In aller Ruhe konnte Maribel ihren Blick durch die kleine Kammer schweifen lassen, in der sie sich befand. Ein winziger Raum nur, in dem sich außer ihrem Bett noch ein weiteres befand. Grob gewirkte Leinenbezüge

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