Verlieb dich nie nach Mitternacht
quiekte sie erschrocken auf. Grete schlug ihr mit dem Reisigbesen kräftig auf den Rücken. Durch den Stoff ihres Kleides spürte Maribel jeden einzelnen Reisighalm schmerzhaft auf ihrer Haut brennen. Laut schimpfend warf sie die Kartoffel unfertig zurück in den Bottich. Sie duckte sich erneut vor dem Besen und rannte zur Tür. Dabei juckte es ihr in der Hand, Lisette eine Ohrfeige zu verpassen. Das Mädchen lachte sich halb tot vor Schadenfreude.
»Wag es nicht noch mal, mich zu schlagen«, warnte sie Grete böse, doch die hob völlig unbeeindruckt den Besen.
»Die Küche ist mein Reich, da hast du zu tun, was ich dir sage«, konterte sie. »Du kannst dich ja beim Herrn beschweren.«
»Das werde ich auch!« Zornig entwich Maribel hinaus auf den Hof. Was für eine Schmach! Weder ihre Mutter noch einer der Verwandten, bei denen sie aufgewachsen war, hatte sie jemals geschlagen.
Maribel wollte nach Hause. Sie hasste diese Zeit.
XI
»Du weißt, dass das nicht geht.« Friedrich von Leyen stand ruhig am Fenster und beobachtete Jan, den Pferdeknecht, der die Kutschpferde zum Striegeln in den Stall führte.
»Sie machen es sich einfach. Aber ich kann hier nicht leben. Es muss doch noch eine andere Möglichkeit geben, als auf diesen dämlichen Weihnachtsstern zu warten.«
»Versündige dich nicht, Mädchen.«
»Ich glaube nur das, was ich sehe. Und wenn wir gestern durch eine Tür hierhergekommen sind, dann muss die heute auch noch existieren. So etwas löst sich doch nicht in Luft auf.«
»Du glaubst nicht an Wunder?«
»Sagen wir, ich habe es verlernt.«
»Interessant.« Friedrich sah weiter hinaus aus dem Fenster, die Hände auf dem Rücken gefaltet. Er schien plötzlich tief in Gedanken versunken. Zeit für Maribel, sich im Zimmer genauer umzusehen. Sie mochte diesen Raum schon deshalb, weil er beheizt war. Ein Ofen aus geschmackvoll verzierten weißen Kacheln verströmte wohlige Wärme. Feine künstlerische Aquarelle zierten die dünnen Papiertapeten. Ein altes Klavichord diente anscheinend nicht nur zur Zierde, denn auf dem Notenständer wartete aufgeschlagen ein Choralbuch auf den nächsten Einsatz. Schon beim Eintreten hatte Maribel die prächtigen Flügeltüren aus Nussbaum mit den Messingbeschlägen bewundert. Ein kunstvoller Kronleuchter aus Bleiglas verströmte an diesem trüben Winternachmittag sanftes Licht.
Es war ein Raum zum Wohlfühlen, wie er Maribel gefiel.
Wehmütig sah sie zu dem gemütlichen Backensessel hinüber. Früher hatten sie und ihre Mutter einen ähnlichen besessen. Maribel hatte es geliebt, sich mit hochgezogenen Beinen darin ganz klein zu machen, bis ihre Mutter sie fand und unter den Armen kitzelte. Oder ihr liebevoll Luft durch die weichen Flaumhaare pustete.
Obwohl es schon so lange her war, spürte Maribel unerwartet eine brennende Sehnsucht nach der wohligen Geborgenheit, die sie damals verspürt hatte. Ähnliche Glücksmomente hatte sie später nur mit Boris erlebt.
»Wie alt bist du?«, hörte sie Friedrich fragen. Erst jetzt bemerkte sie, dass er sie wohl schon seit einer ganzen Weile beobachtete.
»Dreiundzwanzig. Im April werde ich vierundzwanzig«, antwortete sie.
Etwas in seinem Blick hatte sich verändert und beunruhigte Maribel. Sie fühlte, wie seine Augen über ihren Körper tasteten. Abschätzend. Begehrlich. Er taxierte sie wie ein wertvolles Rennpferd. Zu ihrem Ärger reagierte ihr Körper mit allen Anzeichen sexuellen Interesses auf diese Behandlung. Ihr Atem ging schneller, als seine Augen in Höhe ihres Busens verharrten, der unter dem hervorspringenden Schürzenlatz noch voller als gewöhnlich wirkte. doch als er mit den Augen ihre schmalen Hüften nachzeichnete und die verborgene Stelle zwischen ihren Beinen suchte, wurde sie ärgerlich.
»Ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft. Aber ich kann gut für mich selbst sorgen. Irgendwie finde ich einen Weg zurück.«
Ein süffisantes Lächeln umspielte seine Lippen. »Mit dreiundzwanzig bist du nicht einmal volljährig. Als dein Gutsherr bin ich deshalb verpflichtet, für dich zu sorgen – und du bist verpflichtet, mir zu gehorchen, wenn du keinen Ärger haben willst.«
Maribel strich so heftig mit der Hand über ihre Schürze, dass der Stoff knallte. Anfang des neunzehnten Jahrhunderts erwartete man von ihr anscheinend nichts anderes, als zu gehorchen. Fügte sie sich nicht, gab es eins mit dem Besen.
»Also gut, bis zu meiner Rückkehr halte ich mich an die Regeln. Zumindest werde ich es
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