Verlieb dich nie nach Mitternacht
aus dem Haus schaffen?«
»Niemand würde uns glauben, wenn ein Haushalt wie der unsere über kein Silbergeschirr mehr verfügt. Wir sollten nur das Wertvollste verstecken.« Agnes sprach mit ruhiger, fester Stimme. Diskret tupfte sie mit der Serviette die feinen Schweißperlen fort, die sich auf ihrer Oberlippe gebildet hatten.
Zufrieden erhob Friedrich sich. »Was für eine kluge Frau ich doch habe. Ich darf mich glücklich schätzen.« Er meinte seine Worte ehrlich. Seine Ehe mit Agnes bildete einen Zweckverband, so wie es auf dem Land üblich war. Als Mitgift hatte sie ein beachtliches Stück Land, das im Westen unmittelbar an seinen eigenen Besitz grenzte, mit in die Ehe gebracht. Damit hatte er sein Eigentum und auch seine Stellung innerhalb der Gemeinde festigen und weiter vergrößern können. Wenn er heute zu den angesehensten Männern der Gegend zählte, dann war dies auch Agnes und ihrer Mitgift zu verdanken. Es war ein Glück, dass sie es darüber hinaus noch verstand, einen Haushalt zu führen.
Sollte allerdings Gretes Tee nicht bald eine sichtbare Besserung ihres Zustandes bewirken, musste er sie in der benachbarten Stadt einem Arzt vorstellen.
Wie sollte er ohne Agnes seinen Sohn aufziehen?
XVII
Von Kind an flößten Pferde Maribel Angst ein. Sie hielt sie für bedrohlich und unbeherrschbar, weil sie viel größer und kräftiger waren als sie selbst. Eine ihrer Tanten hatte Reitunterricht für das ideale Mittel gehalten, Maribel über den schrecklichen Verlust ihrer Mutter hinwegzutrösten. Ein Irrtum, wie sich sehr schnell herausgestellt hatte. Beim Anblick der zierlichen Stute, die für sie bestimmt war, brach Maribel in Tränen aus. Ihr Reitlehrer bot all seine Überredungskünste auf, doch Maribel weigerte sich, auch nur in die Nähe des Tieres zu gehen.
Mehr als zweihundert Jahre zurück, in der Vergangenheit, half ihr das Gewehr des französischen Soldaten in den Sattel. Maribel fühlte sich viel zu benommen, um Gegenwehr zu leisten. Sie zitterte wie Espenlaub. Das Umschlagtuch bot ihr nur wenig Schutz gegen den einsetzenden Schneefall. Ihr Gesicht fühlte sich starr und erfroren an. Mit tauben Fingern griff sie den Sattelknauf, so wie der Soldat es ihr zeigte. Doch wäre er nicht hinter ihr aufgestiegen und hätte sie mit seinem Körper gehalten, wäre sie mit Sicherheit wieder vom Pferd gerutscht. Instinktiv schmiegte sie sich an ihn, auch, um sich an ihm zu wärmen. Sie spürte, wie der Körper des jungen Mannes auf ihre Nähe reagierte, doch für ein Abrücken war es zu spät. Um wenigstens einen Teil ihrer Würde zu bewahren, funkelte sie ihn böse an, als er sie am Ziel aus dem Sattel hob. Sie hätte sich ihr Gehabe getrost sparen können. Der Soldat, jünger als sie selbst, wagte ihr vor Scham kaum ins Gesicht zu blicken.
Aus dem Wachraum schlug ihnen wohlige Wärme entgegen. Einer der beiden Männer, die in dieser Nacht Dienst schoben, legte gerade Holz im Ofen nach, als Maribel von ihrem Bewacher hereingeführt wurde. Mit einem lauten Räuspern machte er seinen Vorgesetzten auf die Neuankömmlinge aufmerksam. Der Lieutenant brauchte nur einen Blick auf die junge Frau zu werfen, um sie wiederzuerkennen. »Wo habt ihr sie aufgegriffen?«
Mit schamrotem Gesicht bemühte sich der junge Soldat vergeblich, seine Erregung vor den Kollegen zu verbergen. »Ganz in der Nähe der Rheinwiesen. Vermutlich plante sie, dem Feind mit Lichtzeichen den Weg zu zeigen.« Letzteres erfand er, um Maribel dafür zu bestrafen, dass sie ihn mit ihrer Weiblichkeit derart in Verlegenheit brachte. Ein bisschen wichtig tun wollte er sich auch.
»Stimmt das?«, wandte der Lieutenant sich an Maribel, die ihn verständnislos ansah. Er hatte sie auf Französisch angesprochen.
Aber auch sonst war sie kaum noch in der Lage, ihm ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Gierig nahm sie die kostbare Wärme in sich auf. Trotzdem zitterte sie heftiger als zuvor. Der Schnee auf ihrem Kleid schmolz und hinterließ kleine Pfützen auf dem Holzfußboden. Die Haut in ihrem Gesicht schmerzte, als sie sich langsam erwärmte. Ein Blick genügte, und dem Lieutenant war klar, dass er heute nicht mehr viel aus dem Mädchen herausbekommen würde. »Du bist doch die Schwachsinnige vom Isselshof. Habe ich dich nicht zu dreißig Tagen Gefängnis verurteilt, weil du einen meiner Männer angegriffen hast? Wieso bist du frei?«
Maribel wünschte, sie wäre weniger müde, um besser denken zu können. »Weiß nicht.«
Der Lieutenant ließ an
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