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Verlieb dich nie nach Mitternacht

Verlieb dich nie nach Mitternacht

Titel: Verlieb dich nie nach Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Kent
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gleichermaßen von Verrohung bedroht, so fürchteten die Frauen doch besonders die Russen. Ein Kaufmann, der die Befreiung von Hamburg miterlebt hatte, berichtete wahre Schauergesichten.
    »Und was ist, wenn Maribel noch lebt, aber irgendwo da draußen unsere Hilfe braucht? Dann haben wir sie auf dem Gewissen, wenn sie stirbt.«
    »Na, wenn schon! Seitdem sie hier ist, hat sie uns ohnehin nur Ärger gemacht.«
    »Sie hat aber auch der gnädigen Frau und dem Kind das Leben gerettet. Ich verstehe nicht, weshalb dem Herrn das nicht mehr Dankbarkeit wert ist. Von der Schmuggelware einmal abgesehen.« Grete warf Lisette einen scharfen Blick zu, doch die ließ diesmal nicht locker.
    »Der Herr wird seine Gründe haben.« Grete formulierte vorsichtig, doch insgeheim gab sie Lisette recht. Es gehörte zu den Aufgaben eines guten Herrn, für die Angehörigen seines Hofes zu sorgen. Unabhängig von der natürlichen Hierarchie, die unter dem Gesinde herrschte, besaß jeder das gleiche Recht auf Fürsorge durch den Dienstherrn. Essen, Wohnung und ärztliche Hilfe, sofern erforderlich, wurden gestellt. Grete überlegte, ob sie Jan als Stellvertreter des Meisterknechtes auf Maribel ansprechen sollte. Doch schließlich beschloss sie, das Problem selbst zur Sprache zu bringen.
    Auf weiblich diplomatische Art.
    *
    Die Gelegenheit dazu ergab sich bereits am Nachmittag. Als es Zeit war, Agnes den Nachmittagstee zu servieren, übernahm Grete diese Rolle ausnahmsweise selbst.
    Wie so häufig in letzter Zeit, ruhte Agnes in dem tiefen Sessel direkt neben dem Kachelofen. Neben ihr, auf Armlänge entfernt, schlief ihr kleiner Sohn Wilhelm unruhig in seiner Wiege.
    »Wilhelm hat die ganze Nacht über geweint«, seufzte Agnes erschöpft. »Ich fürchte, ich habe zu wenig Milch für ihn. Weißt du keine gute Amme, die bereit wäre, in unsere Dienste zu treten?« Die Frage fiel Agnes unendlich schwer. Die Erkenntnis, dass ihre eigenen Kräfte nicht ausreichten, machte ihr schwer zu schaffen.
    Grete beugte sich über die Wiege, um das Kind näher zu betrachten. Gierig saugte es an seinem winzigen Daumen. Nicht mehr lange, dann würde es erwachen, um erneut nach Nahrung zu schreien.
    »Die Mutter des Schweinejungen hat vor Kurzem erst ihr viertes Kind geboren. Sie hat noch einen Zweijährigen an der Brust, aber ich denke, für den kleinen Wilhelm müsste noch genug Milch übrig sein«, überlegte sie laut. Sie richtete sich auf und blickte ihre Herrin fragend an. »Wenn ihr wollt, frag ich sie für Euch.«
    Das Aussehen ihrer jungen Herrin gefiel ihr ganz und gar nicht. Ihr Gesicht wirkte eingefallen und bleich, nicht so, wie eine gesunde, glückliche Mutter aussehen sollte.
    »Ja, bitte.« Agnes lächelte matte. »Ich möchte nicht, dass Wilhelm unter der Unfähigkeit seiner Mutter leidet.«
    »Pah! Unfähigkeit!« Empört stützte Grete die Arme in die Hüften. »Haben gnädige Frau schon mal zwei Kühe gesehen, die genau die gleiche Menge Milch geben? Ich nicht!«
    Agnes musste über diesen wenig galanten Vergleich schmunzeln. »Dann bin ich also eine Kuh mit weniger Milch«, scherzte sie, um jedoch sofort wieder ernst zu werden. »Bitte, frag die Mutter des Schweinejungen in meinem Namen. Es wird ihr finanzieller Schaden bestimmt nicht sein.«
    »Ich weiß.« Für einen Moment vergaß Grete den Standesunterschied, der zwischen ihnen herrschte. Beruhigend tätschelte sie die Hand der jungen Frau. Sie hörte rechtzeitig auf, bevor Agnes die Hand wegzog.
    »Gnädige Frau?«, begann sie erneut zögernd.
    »Ja?«
    »Maribel, das Mädchen, das Euch und Eurem Kind bei der Geburt geholfen hat, ist noch immer verschwunden. Wir vom Gesinde machen uns Sorgen um sie.«
    Agnes schloss die Augen. Maribel, Maribel, immer nur diese Maribel. Gab es denn kein anderes Thema mehr im Haus? »Also gut. Frag auf der Gendarmerie nach ihr, wenn du zur Amme gehst. Mehr kann ich leider nicht für sie tun. Mein Mann braucht alle Männer auf dem Hof. Das Donnern der Kanonen rückt stündlich näher.«
    In der Tat, seit dem Silvestertag verstummte der Kanonendonner allenfalls für Stunden. Jeder, der Ohren besaß, war imstande, sich seine eigene Meinung über den Verlauf der Front zu bilden. Der offiziellen Version der französischen Regierung, die Verbündeten befänden sich auf dem Rückzug, traten jedenfalls immer mehr Skeptiker entgegen.
    Grete knickste erleichtert. Sie hatte erreicht, was sie wollte.
    *
    Wie lange Maribel krank gewesen war, wusste sie nicht. Doch

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