Verlieb dich nie nach Mitternacht
Kameraden ihn trotz allem glühend beneideten.
*
Wenn Lisette nicht in den Armen von Heinrich, dem Knecht, eingeschlafen wäre, dann hätte sie viel früher bemerkt, dass Maribel verschwunden war. So aber entdeckte sie es erst am Morgen, nachdem sie laut trällernd die Stiege zu ihrer Kammer hinaufgeklettert war.
»Diesmal habe ich mich wirklich verliebt, Maribel.« Verwundert blieb sie in der offenen Tür stehen. Das Zimmer war leer. Maribels Bett wirkte unberührt. Nachdenklich zog Lisette die Unterlippe zwischen die Zähne. Im Vorbeilaufen hatte sie vorhin schnell einen prüfenden Blick durchs Küchenfenster geworfen. Grete hantierte wie immer geschäftig mit ihren Töpfen. Maribel hingegen konnte sie nirgends entdecken.
Wo steckte sie bloß?
Lisette klatschte sich erst einmal Wasser ins Gesicht, um den Schlaf zu vertreiben, und ließ es an diesem Morgen bei wenigen Bürstenstrichen bewenden. Stattdessen beeilte sie sich, zu den anderen in die Küche zu kommen. Sie brannte darauf, Maribel von ihrer Eroberung zu berichten. Heinrich war ein ordentlicher Mann, genau der richtige zum Heiraten.
Wo steckte sie bloß?
Doch wo sie auch suchte, sie konnte Maribel nirgends finden. Sie erinnerte sich daran, dass Friedrich um neun Uhr Maribels Anwesenheit im Herrenhaus gewünscht hatte. Vielleicht war der gnädige Herr ihrem Ratschlag gefolgt und hatte es ihr selbst ausgerichtet.
Lisette kicherte vergnügt in sich hinein. Sie war vielleicht nicht sonderlich intelligent, aber sie besaß ein sicheres Gespür dafür, wenn ein Mann eine Frau begehrte. Und so, wie Friedrich Maribel ansah, wenn er sich unbeobachtet glaubte, bestand an seinen Gefühlen für das Mädchen kein Zweifel.
*
Agnes ruhte in ihrem Lieblingssessel am Fenster und hielt die Augen geschlossen, als Lisette das Zimmer betrat.
»Wie blass sie aussieht«, schoss es Lisette durch den Kopf, während sie sorgfältig den Frühstückstisch deckte. Das Frühstück nahmen die Herrschaften stets gemeinsam ein. Zur Mittagszeit hielt Friedrich sich meist bei der Arbeit auf dem Gut auf oder erledigte Geschäftliches in der Stadt. Erst am Abend pflegten die Eheleute wieder gemeinsam Zeit miteinander zu verbringen.
Lisette beneidete Agnes um die schönen Kleider, die sie trug, und die Sicherheit, in der sie lebte. Trotzdem fragte sie sich, ob sie selbst nicht ein bunteres, fröhlicheres Leben führte. Sie erinnerte sich nicht, Agnes schon einmal lachen gesehen zu haben.
»Ein schönes, neues Jahr, Lisette.«
»Auch Ihnen ein gesundes neues Jahr, gnädige Frau«, erwiderte sie artig. Sie füllte die Tasse ihrer Herrin mit dem Tee, den Grete als Mittel gegen ihre Schwäche gebraut hatte, und zögerte, bevor sie die Frage stellte, die sie beschäftigte. »Maribel war heute Morgen noch nicht da?«
»Nein. Sollte sie?«
Lisettes Verdacht, dass der gnädige Herr Maribel mehr für sich als für seine Frau bestellt hatte, schien sich zu erhärten. Wie viel durfte sie erzählen, ohne ihn in Verlegenheit zu bringen?
Es war Friedrich selbst, der sie rettete. Als er aus dem Nebenzimmer zu ihnen herüberkam, wirkte er müde und abgespannt. Im Gehen schlüpfte er noch in seine Jacke. Aber im Gegensatz zu vielen anderen auf dem Hof hatte er die Nacht bestimmt allein verbracht.
Oder doch mit Maribel?
»Guten Morgen, Lisette. Wie geht es dir nach der schweren Nacht?«
Sein wissendes Lächeln ließ sie prompt erröten. »Hast du Maribel gleich mitgebracht?«
Galant beugte er sich zu seiner Frau hinunter, um sie auf die Stirn zu küssen. »Guten Morgen, Agnes. Ich hoffe, du hattest eine gute Nacht?«
Sie nahm seine Hand und hielt sie fest. »Dein Sohn ist ein kleiner Genießer. Zweimal hat er mich diese Nacht geweckt. Vor wenigen Minuten erst ist er eingeschlafen.«
»Sollten wir nicht doch darüber nachdenken …«
»Friedrich! Nicht vor Lisette!«
»Entschuldige.« Als wenn nichts vorgefallen wäre, wandte Friedrich sich wieder dem Dienstmädchen zu. Sie hielt die Augen gesenkt, doch er war sich sicher, dass ihr keine Nuance seines kleinen Disputs mit Agnes entging. Unwillig runzelte Friedrich die Stirn. »Ich hatte gehofft, Maribel könnte uns noch die eine oder andere nützliche Rezeptur zur Kräftigung meiner Frau verraten.«
Mit einem Lächeln wandte er sich an seine Frau. »Du musst wissen, sie kennt sich mit Krankheiten aus.«
»Aber Grete hat mir doch schon so einen vorzüglichen Tee gekocht.«
»Da bin ich mir sicher. Aber ich dachte auch eher an zusätzliche
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