Verlieb dich nie nach Mitternacht
den Sieg der alliierten Truppen hatten vor allem die berüchtigten Kosaken geebnet. Ein Umstand, dessen sie sich nur allzu bewusst waren. Ohne Skrupel bedienten sie sich nun am Eigentum der einheimischen Bevölkerung, um ihre eigenen Vorräte aufzufüllen, denn es fehlte ihnen so ziemlich an allem.
»Sie werden ›Geier der Schlachtfelder‹ genannt. Abseits der Schlachtfelder benehmen sie sich nicht wesentlich besser«, brummte Friedrich voller Ingrimm, als er vom Fenster seines Arbeitszimmers hinaus auf den Hof blickte.
Mit den Augen verfolgte er Maribel, die an der Seite von Andrej über den Hof ging. Sie trug ein Kleid aus hellblauem Leinen, das Agnes ihr geschenkt hatte. Es passe zu ihrer neuen Position als Übersetzerin für die russischen Truppen, meinte die Hofherrin. Maribel hatte sich mit zwiespältigen Gefühlen bedankt. Sie spürte deutlich, wie die Mägde und Knechte auf dem Hof sie mit wachsendem Argwohn beäugten. Paktierte sie etwa mit den Besatzern?
Agnes trat neben Friedrich ans Fenster. Halt suchend griff sie nach seiner Hand. Die Tees, die Grete ihr nach wie vor bereitete, zeigten leider noch immer keine stärkende Wirkung. Sie ärgerte sich über ihre Schwäche. Sie hinderte sie daran, die Geschäfte auf dem Hof in dem Maße zu überwachen, wie es erforderlich wäre. Deshalb betrachtete sie das bunte Treiben nur mit Widerwillen. Von der beschaulichen Stille, die das Leben hier für gewöhnlich prägte, war kaum noch etwas zu spüren.
Zu der kleinen Kosakentruppe unter Andrejs Führung hatten sich in den vergangenen Tagen weitere russische Soldaten gesellt, die Friedrichs Hof als Lager wählten. Fremdländisch wirkende Burschen aus den hintersten Ecken Asiens, zum Teil mit gelblich wirkender Haut und ungewohnt schräg stehenden Augen. Auch von ihnen trugen die meisten lange Haare und Bärte. Mit Schaudern stellte Agnes sich vor, wie Läuse und sonstiges Getier darin hausten. Aber vielleicht tat sie ihnen auch unrecht. Von Grete wusste sie, dass seit ihrer Ankunft die Badezuber ständig belegt waren.
Auch die Uniformen der Männer stachen ins Auge. Ihre Mützen waren aus einem Ledergestell, das mit schwarzem Schaffell überzogen war. Auf dem Deckel war ein Mützenbeutel aus scharlachrotem Tuch angebracht. Gelbe Kordeln mit Spiegeln und Troddeln hingen weit herab, und ein schmaler Federbusch aus weißem Rosshaar zierte die linke Seite der Mütze. Um sich vor der Kälte zu schützen, trugen die Männer über der Uniform einen Kaftan aus dunkelblauem Tuch, der mit Haken bis zur Taille zu verschließen war und dessen weite Schöße hinten bis an die Knie reichten. In der Taille geraffte türkisfarbene Hosen mit breiten roten Streifen an der Seite erinnerten an den Orient. Eine helle, breite Schärpe verdeckte das Leibkoppel.
»Die beiden geben ein schönes Paar ab«, meinte Agnes scheinbar arglos. Doch aus den Augenwinkeln beobachtete sie das Mienenspiel ihres Gatten. Seine Wangenknochen mahlten, als er sich abrupt wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch zuwandte.
»Wen meinst du, meine Liebe?« Jede andere hätte er mit seinem zur Schau getragenen Gleichmut täuschen können. Nicht jedoch Agnes. Friedrichs Seelenruhe war dahin, seitdem Maribel so viel Zeit mit Andrej verbrachte. Agnes konnte seinen Gemütszustand nur noch nicht richtig einschätzen. Was fühlte er? Körperliches Begehren? Liebe? Eifersucht? Ihr Herz krampfte sich zusammen, als sie daran dachte.
Friedrich hob den Blick von den Papieren, die er gerade las. »Fühlst du dich nicht gut?«
»Doch, doch.« Sie seufzte tief. Sie sah keinen Sinn darin, auf dem Thema zu bestehen. Friedrich würde nicht darauf eingehen. Entschlossen raffte sie den Rock ihres Kleides. »Ich glaube, Wilhelm schreit. Er nimmt zu, seitdem die Amme im Haus ist. Findest du nicht auch, dass er schon viel besser aussieht?«
Friedrich lächelte sanft, als er an den kleinen Kerl dachte. Er wartete auf den Tag, an dem er Seite an Seite mit ihm die Felder abschreiten würde, um ihm ein Erbe zu zeigen, auf das er stolz sein konnte. Sofern ihm diese verdammten Kosaken noch etwas davon übrig ließen. »Wilhelm wird uns eines Tages noch viel Freude machen.«
Ihre Augen begegneten sich. »Davon bin ich überzeugt, mein Lieber.« Einen Augenblick waren sie sich ganz nah. Verlegen wandte Friedrich schließlich den Blick ab.
»Möchtest du, dass ich dich begleite?«
Sie schüttelte den Kopf. »Danke. Du musst nicht befürchten, dass ich jeden Augenblick
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