Verliebe dich nie in einen Rockstar
Wohnung? Hatte er vielleicht eine Haushälterin oder gab es zauberhafte Wichtel, die in wenigen Sekunden den Staub und Dreck einfach verschwinden ließen?
Mit offenem Mund begleitete ich ihn in ein gemütlich aussehendes Wohnzimmer mit dunkelrot angestrichenen Wänden. Komisch war nur, dass er keinerlei Bilder oder Fotos aufgehängt hatte, weshalb mir ein Bilderrahmen auf dem Glastisch sofort auffiel. Ich huschte an ihm vorbei und nahm das Bild in meine Hände. Darauf waren Alex und ein Junge zu sehen, der ihm fast bis aufs Haar, oder sollte ich sagen: bis auf die Augen, glich. Seine funkelten in einem dunklen Grün, zahlreiche Tattoos übersäten seinen Oberarm. Er sah ein klein wenig älter aus als Alex – zwei, allerhöchstens vier Jahre.
»Wer ist das?«, fragte ich, als sich Alex dem Tisch näherte.
»Niemand«, antwortete er mit verbitterter Stimme. Er nahm mir das Bild aus der Hand und legte es umgedreht auf den Tisch. »Niemand, der wichtig ist.«
Da ich annahm, dass mich ein erneutes »Wer ist das? Wer ist das? Wer ist das? « nicht weiterbringen würde, setzte ich mich auf die schwarze Kunstledercouch. »Willst du was? Kaffee oder Tee?«, fragte mich Alex, der noch neben dem Tisch stand. »Ich hab sicherlich auch noch irgendwo Wein, wenn du etwas für die Nerven brauchst.«
»Du hast eine Küche?«, fragte ich. »Eine Küche mit Spüle, Herd und so weiter? Keinen Wasserhahn, der aus einer Mauer ragt?«
»Ich mach dir eine Tasse Tee«, sagte er und ging nicht weiter auf meine Verwunderung ein. »Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich ihn dir in einem Nachttopf serviere, weil ich keine Tassen besitze.«
»Wirklich nicht?«, rief ich ihm nach, als er schon in der Küche war.
Sein genervtes Seufzen hörte ich bis hierher.
Ich konnte es nicht glauben. Alex und ich waren uns tatsächlich ähnlicher, als ich glauben konnte. Wenn ich noch ein einziges Vorurteil gegen den Rockstar gehabt hatte, war es jetzt zerstört worden.
Er war so ... anders!
Ganz kurz erlaubte ich mir eine Fantasie, die mein Herz vor Freude herumtollen ließ: Ich, auf der Couch sitzend, irgendwelche Zettel mit Songtexten studierend und leise vor mich hin summend, Alex kommt mit einer Flasche Sekt und zwei Gläsern in den Raum spaziert, unsere Blicke kreuzen sich, niemand sagt etwas – wir lächeln uns nur an.
Ich zwickte mich, um mich aus den Tagträumereien zu reißen.
So eine Träumerei durfte ich mir erst erlauben, wenn ich mir sicher war, dass Alex mich liebte, denn sonst würde ich wie so viele Mädchen vor mir mit gebrochenem Herzen enden.
Die Zeit, die Alex in der Küche verbrachte, nutzte ich, um mich ein wenig im Wohnzimmer umzusehen. Auf dem Tisch stapelten sich ein paar Musik- und Gitarrenmagazine. Spielte Alex Gitarre? Bis jetzt hatte ich ihn noch nie mit diesem Instrument gesehen; in seiner Band gab es ja schon zwei Gitarristen und einen Bassisten.
Der Raum wirkte eigentlich schöner und ordentlicher als mein Zimmer. Den Fernseher überdeckte keine Staubschicht, ebenso wenig den Laptop, der auf einem kleinen Tisch vor einem Fenster stand; die CDs daneben stapelten sich ordentlich übereinander. Es war wirklich sauber, bis - »Eine Ratte!«, quiekte ich und sprang auf die Couch. Zu meinen Füßen war gerade ein braunes Etwas vorbeigewuselt. »Alex, da ist eine Ratte im Wohnzimmer!«
Für einen Retter in der Not kam Alex unglaublich langsam ins Wohnzimmer zurück. Er stellte eine Tasse mit heißem dampfenden Tee vor mir ab. »Eine Ratte?«
»Da!«, schrie ich und sprang auf dem Sofa herum. Entsetzt musste ich mit ansehen, wie das Tier an Alex Hosenbein empor kletterte, von seinem Arm zu seinem Hals hinauflief und seinen pelzigen Kopf an seine Wange schmiegte ... Moment mal!
»Das ist Ronnie«, stellte die vermeintliche Ratte Alex vor und tätschelte ihr den Kopf. »Mein stubenreines Frettchen. Würde es dir etwas ausmachen, von meiner Couch runterzugehen? Ich hab gestern erst geputzt!«
Ronnie lag zusammengerollt auf den Magazinen und sah ab und an zu uns. Irgendwie mochte ich diesen flauschigen Haufen. Hoffentlich nahm er es mir nicht übel, dass ich ihn für eine Ratte gehalten hatte.
»Ich glaube, du hast Chancen auf eine akzeptable Note«, sagte ich und klappte das Mathebuch zu. »Du machst Fortschritte in Mathe.«
Wirklich, das war kein Standardspruch, den man nur sagte, damit der andere nicht die Hoffnung verlor. Alex erwies sich als nicht so dumm, wie ich angenommen hatte. Aber ich war ja auch eine
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