Verliebt bis unters Dach Roman
Stunden ohne uns zurechtkommt, ist auch ein Vorteil.«
»Und wenn sie den Bus früher reparieren als erwartet? Marilyn... Marilyn?«
Marilyn hörte die Schwester nicht, denn sie starrte über ihre Schulter hinweg.
»Hast du mich gehört?« Das war eine alberne Frage, denn ganz offensichtlich hatte Marilyn abgeschaltet.
»Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen. Gibt es hier schließlich doch Gespenster?«
Marilyn sagte immer noch nichts, sondern starrte mit offenem Mund und starr vor Schreck zur Eingangstür.
Besorgt warf Liesel einen raschen Blick in dieselbe Richtung und musste sich zusammenreißen, um sich nicht automatisch zu bekreuzigen.
Im Eingang des Cornucopia stand ein Mann und kein Geist... es war Satan persönlich.
»Hallo, Marilyn, wie geht’s?«
Er hatte ein paar Falten mehr um die Augen, war tief gebräunt, die Haare waren leicht ergraut, aber er sah kaum anders aus im Vergleich zu dem Zeitpunkt, dass sie ihn das letzte Mal gesehen hatte.
Niemals hatte er in ihrer Vorstellung einfach bloß gesagt: »Hallo, Marilyn, wie geht’s.« Wie ein Nachbar, der vorbeischaut, um sich eine Tasse Zucker zu leihen.
»Gütiger Gott!« Es war Liesel, die dies schrie. Marilyn war sprachlos.
»Willst du mich nicht begrüßen?«
Schweigen. Marilyn öffnete den Mund, aber kein Ton war zu hören. Nicht einmal ein Seufzer. Und dann kam Alex mit Godrich im Schlepptau vom Turm her in die Eingangshalle. Er grinste vor sich hin, doch dann dann sah er den Gesichtsausdruck seiner Mutter, blickte von ihr zu Liesel, dann in die Richtung, in die Liesel sah, blieb stehen, runzelte die Stirn und schüttelte ein wenig den Kopf. Sie sah, wie das Erkennen in ihm aufdämmerte.
»Alex?« Marilyn hörte den fragenden Ton in Nicks Stimme und hasste ihn dafür. Er war nicht einmal sicher, ob dies sein eigener Sohn war. Aber dann sagte er es noch einmal, lauter, sicherer: »Alex!«, und breitete die Arme aus.
Alex sah seinen Vater ungläubig an. Seit drei Jahren hatte er ihn nicht mehr gesehen. Kein Wort hatte er von ihm gehört.
»Komm schon, Alex«, meinte Nick aufmunternd. Seine Stimme klang eine Spur zu herzlich. »Komm und begrüß deinen Daddy.«
Da quollen Tränen in Alex’ Augen auf. Ein erster, vorsichtiger Schritt, dann lief er, rannte. Schließlich stürzte er auf ihn zu. Nick blickte hoch und lächelte Marilyn an. Sein Lächeln
wirkte auf Liesel eher selbstgefällig als liebevoll und väterlich. Doch Alex warf sich nicht in die ausgebreiteten Arme. Er senkte den Kopf und stieß ihn mit einem Aufheulen aus reinster Wut so fest es ging dem Vater in den Magen.
Nick schrie vor Schock und Schmerz auf und krümmte sich zusammen.
Alex taumelte unter der Wucht seines Stoßes. Dann blickte er hoch zu seinem Vater. Einen Moment lang huschte ein schuldbewusster Ausdruck über sein unschuldiges junges Gesicht. Doch daraufhin runzelte er die glatte Stirn wieder wütend, holte mit dem Bein aus und trat Nick voll vors Schienbein.
Dann brach er in Tränen aus und rannte hinaus.
Godrich von Woofenhausen erlebte wohl eine Art Hunde-Erleuchtung, als er sah, wie sein ansonsten so fröhlicher Schatten, der stets bereitwillige Einsammler seiner Häufchen, der ihm gerne verbotene Schokoriegel zusteckte, schluchzend und schniefend davonrannte. Er blieb nur eben lange genug, um ein Bein neben dem zusammengesackten Nick zu heben und ihn mit dem warmen, sauren Strahl seiner Pisse zu beehren, ehe er dem Jungen nachrannte.
Ed und Eric, die auf Liesels Schrei hin angelaufen kamen, liefen sofort hinter Alex her. Marilyn, die immer noch unter Schock stand, ging langsam, zutiefst traurig und ungläubig auf Nick zu, der inzwischen auf dem Boden hockte, sich den Bauch hielt, das Schienbein rieb und sein durchweichtes Hosenbein vergeblich mit einem Taschentuch zu trocknen versuchte.
Er blickte zu ihr hoch und versuchte es mit dem charmanten Lächeln, das er jedes Mal einsetzte, wenn er genau wusste, dass er sie verärgert hatte. Vermutlich war es genau dieses Lächeln, das sie endlich aus ihrem Schock herausriss.
»Hi, Nick, und wie geht es dir?«, fragte sie und goss die kaum angerührte Tasse Kaffee über seinem Kopf aus.
»Verdammt!«, fluchte er lauthals und wischte sich panisch das nasse Gesicht.
»Was zum Teufel hast du erwartet?«, zischte sie, ehe sie in Tränen ausbrach und ihrem Sohn hinterherrannte.
»Was ist Lärm? Alles okay, Liesel?« Kashia und Lorraine hatten in einem der Dachzimmer das Bettzeug gewechselt.
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