Verliebt bis unters Dach Roman
Knien. Da sah sie, dass Marilyn der Mund offen stand. Mrs. Emerson zerrte rasch die Lockenwickler aus den Haaren, und selbst die korpulente Mrs. Golightly arrangierte das Dekollete ihres Bademantels, um ein wenig mehr zu enthüllen. Das wiederum wurde von Mr. Golightly bemerkt, der darauf reagierte, indem er den Brustkorb aufblähte, seine Frau bei der Hand nahm und sie zurück aufs Zimmer führte.
Liesel versuchte, seitlich an ihnen vorbei zu sehen, worum es bei alldem ging, aber Mrs. Emerson versperrte ihr resolut
den Blick. Dann heulte Godrich wieder kummervoll auf. Sie trat rasch zur Seite, um den Tierarzt zu ihm zu lassen.
Sein Gesicht konnte Liesel nicht sehen, sie sah nur einen ansehnlichen Männerkörper. Liesel mochte ansehnliche Männerkörper - so wie alle Mädchen, aber wenn Marilyn so völlig hingerissen aussah, dann war er wohl mehr als bloß ansehnlich.
Er hatte die Wachsjacke auf den Boden neben der Anrichte gelegt. Nun hockte er da: breiter Brustkorb, brauner Kaschmirpullover. Darunter trug er ein Hemd zu braunen Jeans, die seine Schenkel eng umspannten. Die Caterpillar-Stiefel rutschten neben Liesels nackte Füße, als er sich neben sie kniete und sie ihn endlich voll sehen konnte. Nun, zumindest das Profil.
Er hatte dunkle Haare, das in einer seidigen langen Strähne ins Gesicht fiel, als er sich vorbeugte, um das Tier zu beruhigen. Darunter konnte Liesel so eben eine gerade Nase erkennen, einen festen Mund, lange Wimpern und eine derart schöne Haut, um die ihn jedes Mädchen beneidet hätte.
Er war ein hinreißend aussehender Mann - ja, fast schön zu nennen.
Und absolut nicht ihr Typ.
Liesel fühlte sich immer vom gleichen Typ angezogen: freches Lächeln und ständig redend. Sie mochte gerne einen etwas schrägen Mund, eine leicht schiefe oder gekrümmte Nase, die vielleicht auch ein wenig zu groß war - eben schöne Unebenheiten. Gut aussehende Männer waren nicht ihr Ding.
»Das ist Godrich«, sagte sie und streichelte die zitternde Flanke des Hundes.
»Ich weiß. Godrich und ich sind alte Freunde.«
»Und warum überrascht mich das nicht?«
Seine geschickten Hände befreiten Godrich rasch mithilfe einer kleinen Säge. Dann untersuchte der Tierarzt sanft die Augen und den Bauch des Hundes und hockte sich anschließend zurück auf die Fersen.
»Nichts passiert, ich habe aber den Eindruck, dass wir nicht dasselbe über das Möbelstück hier sagen können.«
»Er ist also in Ordnung?«, fragte Liesel und lächelte Alex aufmunternd zu.
»Er ist in Ordnung. Nicht wahr, Godrich? Ich kann Ihnen allerdings sagen, was Ihnen vermutlich niemand verraten hat. Godrich hat ein Reflux-Problem. Das bedeutet, wenn er nervös oder gestresst ist, hat er Schwierigkeiten, sein Essen richtig zu verdauen.«
»Dann kotzt er«, übersetzte Alex es.
Der Tierarzt nickte. »Nancy hat ihm immer besonderes Futter gegeben.«
»Sie kannten Nancy?«
»Nun, wenn man bedenkt, dass Godrich das Gegenstück zu Miles & More für seine Trips in meine Praxis bekommt, würde ich sagen, ich kannte sie sehr gut.«
»Wie war sie?«
»Clever. Aber wenn es um diesen Hund ging, völlig daneben. Abgesehen von dem Reflux-Problem ist er nämlich ziemlich gesund, aber er hat rasch gelernt, dass Kranksein besondere Zuwendung heißt.«
»Ist er ein Hypochonder-Hund?«, fragte Liesel.
»Genau.« Nun richtete er sich auf. »Sehen Sie?«, fügte er hinzu, als der gerade erste befreite Godrich die Augen verdrehte, seitwärts taumelte und sich dann wie eine Diva auf den Boden fallen ließ. Nach ein paar Sekunden öffnete er ein
Auge, um zu sehen, wer inzwischen herbeigestürzt war, um sich um ihn zu kümmern.
»Ich muss zugeben, wir haben unsere Problemchen mit ihm gehabt.«
»Also, Tiere haben nicht die gleichen komplexen Gefühle wie Menschen, aber sie sind auch nicht so schlicht, wie manche Menschen meinen.«
»Sie meinen also, er ist...«
»Eine komische Nummer.« Der Tierarzt nickte und lächelte Marilyn an. »Nancy Hamilton hat ihn sehr verwöhnt. Ich glaube, wenn man ihn eher wie einen Hund behandelt statt wie einen Kindersatz, könnte ihm das guttun.«
Marilyn nickte zustimmend.
»Vielen Dank, Mr....«
»Tom Spencer.« Er streckte ihr die Hand hin. »Ich fürchte, wir werden einander öfter begegnen.«
»Ich bin Marilyn, das hier ist mein Sohn Alex. Das ist meine Schwester...«
Er schüttete Marilyns Hand, dann Alex’ und wandte sich schließlich zu Liesel, die ihm ebenfalls die Hand entgegenstreckte - aber
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