Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe
hinstellen, so würde es mir nicht schwer werden, auch hinter der
entzückenden Fassade dieses Feuerwerks Unrat zu wittern. Es könnte immerhin sein, daß Hoteliers und Magistrat das Ganze nicht veranstaltet haben,
um uns zu erfreuen oder sich von ihren Franken zu befreien, sondern im Gegenteil, um auf Umwegen Geld zu verdienen. Es könnte sein, daß der größte
Teil des verflatterten Geldes dort hängen bleibt, wo man mit Geduld und Umsicht die kommenden Kriege vorbereitet: bei den Herstellern der
Sprengmittel usw. Kurz, es würde nicht viel Geist dazu gehören, um auch dies hübsche kleine Feuerwerk-Erlebnis zu entwerten. Aber ich hüte mich
wohl, dies zu tun. Ich bin noch berauscht von jenem Wolkenbruch zischender grüner und roter Sternchen, die aus dem Kelch einer goldenen
Riesenblume stürzten, und beglückt über diese Riesenfeuerblume selbst, die den halben Himmel einnahm und dann so rasch und gründlich verschwunden
war. Überhaupt, ich bin noch immer entzückt, es war so wunderbar – z. B. wie die roten Funkenregen so leise wie dünner Flockenfall sich
schleierzart am Nachthimmel verloren und so unsäglich fremd und aus anderem Stoff hinter ihnen die wirklichen Sterne wieder sichtbar wurden! Auch
jene originelle Art von kaltschnäuzigen Raketen hat mir gefallen, die so fabelhaft energisch und wild emporstreben und offenbar durchaus gesonnen
sind, eine halbe Stunde lang den ganzen Himmel mit ihrer Wichtigkeit zu erfüllen – und die dann, kaum auf der Höhe ihrer Bahn angekommen, ganz
plötzlich mit einem ärgerlichen kurzen Knall verschwinden, wie ein Herr etwa, der sich entschlossen hat, einem großen Fest beizuwohnen, der sich
im Frack und mit allen Orden in den Festsaal begeben hat, den aber beim Anblick des Saales ein Widerwille packt, so daß er den Mund
zusammenkneift, kurzum kehrtmacht und beim Weggehen vor sich hin murmelt: »Ach, ihr alle könnt mir . . .«
1930
Erwachen
S tille Zeit kam träg geschlichen,
Alle Stürme schwiegen tief,
Alles Leid war ganz verblichen
Und die Seele schlief.
Aber heut bin ich erwacht
Tief in Finsternissen,
Ringsum dunkelte die Nacht.
Jäh emporgerissen
Aus der langen, lahmen Rast
Schlug mein Herz in banger Hast.
Hell aus langgeheilten Wunden
Brannten der Vergangenheit
Leidenschaften neu entbunden.
Seele, bist du nun erwacht?
Ist zu Ende Schlaf und Ruh?
Schau, sie steht zu neuem Leid,
Neuen Stürmen froh entschlossen
Und sie zittert, und sie lacht
Allen Himmelssternen zu,
Ihren seligen Genossen.
Zwischen 1903 und 1910
Blauer Schmetterling
F lügelt ein kleiner blauer
Falter vom Wind geweht,
Ein perlmutterner Schauer,
Glitzert, flimmert, vergeht.
So mit Augenblicksblinken,
So im Vorüberwehn
Sah ich das Glück mir winken,
Glitzern, flimmern, vergehn.
Dezember 1927
W enn man nur von allem Schönen so einen Beutel voll aufbewahren und für bedürftige Zeiten aufsparen
könnte! Freilich, es wären doch nur künstliche Blumen mit künstlichem Duft. Alle Tage rauscht die Fülle der Welt an uns vorüber; alle Tage blühen
Blumen, strahlt das Licht, lacht die Freude. Manchmal trinken wir uns daran dankbar satt, manchmal sind wir müde und verdrießlich und mögen nichts
davon wissen; immer aber umgibt uns ein Überfluß des Schönen. Das ist das Herrliche an jeder Freude, daß sie unverdient kommt und niemals käuflich
ist; sie ist frei und ein Gottesgeschenk für jedermann, wie der wehende Duft der Lindenblüte.
Aus »Lindenblüte«, 1907
Dauer des Schönen
N ichts ist so heiter und so erheiternd wie das Schöne und die Kunst – wenn wir nämlich dem Schönen und der Kunst so hingegeben sind, daß wir darüber uns selbst und das brennende Leid der Welt vergessen.
Es braucht nicht eine Fuge von Bach, nicht ein Bild von Giorgione zu sein, es genügt ein Inselchen Blau im Wolkenhimmel, der bewegliche Fächer eines Möwenschwanzes, es genügen die Regenbogenfarben eines Ölflecks auf dem Straßenasphalt. Es genügt noch viel weniger.
Kehren wir aus der Seligkeit zum Bewußtsein des Ich und zum Wissen vom Elend des Lebens zurück, dann wandelt sich die Heiterkeit in Traurigkeit, die Welt zeigt uns statt ihren strahlenden Himmel ihren schwarzen Grund, das Schöne und die Kunst wird traurigmachend. Aber es bleibt schön, es bleibt göttlich, sei es Fuge, Bild, Möwenschwanzgefieder, Ölfleck oder noch weniger.
Und wenn die Seligkeit jenes ich- und weltvergessenen Glückes nur Augenblicke dauern darf, so kann
Weitere Kostenlose Bücher