Verliebt in einen Gentleman
spüren, wenn man ein wenig aufmerksam ist. Ich gebe zu, dass meine Sinne in Ethans Gegenwart meistens vernebelt sind, aber – das ist doch okay. Man nennt das „Liebe“.
Die Gelegenheit, unser Verhältnis scharfäugig zu prüfen, ergibt sich recht bald.
Ethan hat beschlossen, mich seiner Familie vorzustellen. Na ja, was heißt, seiner Familie – seinen Bruder Theo kenne ich ja schon. Viel ist da nicht mehr übrig, denn sein Vater ist bereits gestorben. Es geht um Ethans verwitwete Mutter. Sie wohnt in einem ehemaligen Pfarrhaus in einem Dorf namens Sternham, westlich von Aldeburgh. Ethans Vater
war Pfarrer. Sein Nachfolger hatte ein neues Pfarrhaus bezogen, und Ethans Mutter konnte nach dem Tod ihres Mannes einfach in dem alten Gebäude bleiben.
Das erzählt mir Ethan auf der Fahrt nach Sternham.
Ich bin innerlich ziemlich aufgewühlt. Einerseits finde ich es aufregend, dass Ethan mich seiner Mutter vorstellen will. Jeder, aber auch jeder, weiß was das bedeuten könnte. Es sieht ganz so aus, als habe Ethan vor, unsere Beziehung zu besiegeln. Ich könnte sehr bald als Braut vor dem Altar der Dorfkirche von Sternham stehen.
Ich müsste eigentlich innerlich jubeln, aber irgendwie werden entsprechende Sensationen bei mir gebremst.
Seit dem Abend in Brantwood, muss ich immerfort über das nachdenken,was meine Freundinnen gesagt haben. Vielleicht könnte ich das Ganze einfach ignorieren und weg schieben, wenn mir nicht gleichzeitig wieder einfallen würde, was zwischen mir und meinen Eltern zu Weihnachten vorgefallen ist.
Einzelne Formulierungen und Satzfetzen tauchen wie Gespenster auf, um mich zu belästigen.
„Kind, du bist so schweigsam.“
„Liebling, nimm es uns nicht übel, aber wir sind uns darin einig, dass du so seltsam still und in dich zurückgezogen bist. Wo ist deine Lebensfreude geblieben? Wo ist dein Humor?“
„Ist dir in England irgendetwas zugestoßen? Bist du dort irgendwie unglücklich?“
Bin ich unglücklich? Ich will mir die Frage mal selber stellen.
Nein, natürlich nicht, denn ich habe den tollsten Freund auf der Welt.
Okay, formulieren wir die Frage anders: Bin ich durch und durch glücklich?
Hm. Jetzt wird es schwieriger, denn wenn ich mit mir ganz ehrlich bin, finde ich es sehr anstrengend, Ethans Freundin zu sein. Das liegt daran, dass ich immerfort das Gefühl habe, nicht gut genug für ihn zu sein.
Gestern Nacht habe ich vorm Einschlafen mein Lieblingscomputerspiel wieder einmal gespielt.
Das Spiel ist ziemlich mühsam. Zäh und geduldig muss man sich durch knifflige Aufgaben von Level zu Level hoch arbeiten. Manchmal habe ich das Gefühl, dass das Spiel zu schwer für mich ist, aber weil ich ziemlich ehrgeizig bin, bleibe ich dran. Ab und zu ist eine Aufgabe so wahnsinnig gemein und schwer, dass ich auf das blöde Spiel und seine Erfinder sauer bin. Manchmal geht es alles locker von der Hand, und dann belohnt mich das Spiel mit einem Erfolgsgefühl.
Wenn ich so darüber nachdenke, kommt mir die Idee, das Ethan auch wie so ein Computerspiel ist. Mit ihm kann ich nie und nimmer entspannt und locker sein. Immer habe ich das Gefühl, dass ich kämpfen und arbeiten muss, damit er mich weiterhin toll findet. Er ist für mich wie eine schwere Aufgabe. Vielleicht wirke ich deswegen manchmal ein wenig müde und abgekämpft, so dass es meinen Eltern und Freundinnen auffällt?
Das könnte sein.
Aber es lohnt sich doch alles, sage ich mir selbst rebellisch.
Jetzt sitze ich neben Ethan im Auto. Es ist ein lauer Frühlingstag und wir haben die Fenster ein bisschen herunter gerollt. Ethans Locken wehen im Fahrtwind. Meine Augen ruhen auf seinem klar-geschnittenen Profil, seinem kantigen Kinn, seiner geraden Nase. Optisch ist und bleibt er mein Traummann.
Ethan ist schweigsam wie immer.
Mir fällt etwas ein.
„Ethan, kannst du bitte irgendwo an einem Blumenladen anhalten? Ich würde deiner Mutter so gerne ein paar Blumen mitbringen.“
Ethan sagt: „Das fällt dir ja reichlich spät ein. Du weißt doch schon seit einigen Tagen, dass wie nach Sternham fahren.“
Ich horche auf das Signal, das mir diese Aussage sendet. Es besagt: „Lea, du bist schlecht organisiert. Jede andere hätte an deiner Stelle schon vorher Blumen besorgt.“
Eine Hälfte von mir sagt: „Ja, stimmt. Tut mir leid. Ich will mich bessern.“
Ich merke, wie ich schon den Mund aufmache, um genau das zu sagen.
Aber jetzt meldet sich die andere Hälfte von mir. Sie sagt: „Das ist nicht nett von
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