Verliebt in einen Gentleman
eins ist mir schlagartig bewusst geworden: Ethan respektiert mich kein bisschen. Und ich – ich habe ihn möglicherweise
zu sehr respektiert.
Der Gedanke ist richtig gruselig.
Wie soll es nur weitergehen? Am besten, ich warte es einfach ab.
Während Ethan weiterfährt, überlege ich, wie es zu dieser Situation gekommen sein mag.
Warum merke ich erst jetzt, was los ist? Bin ich denn blind gewesen?
Wenn ja, dann aus gutem Grund. Liebe macht bekanntlich blind.
Ich kenne mich eigentlich ganz gut und weiß, dass ich eine Eigenschaft habe, die nicht unbedingt rühmenswert ist, aber ziemlich nützlich. Sie hat mich mein ganzes bisheriges Leben begleitet.
Ich kann auf Menschen und Situationen flexibel reagieren. Sagen wir es mal so: Ich bin so etwas wie ein Chamäleon. Diese Tiere verändern ihre Farbe bekanntlich je nach dem Untergrund, auf dem sie sich gerade befinden, um zu verhindern, dass ihre natürlichen Feinde sie entdecken und auffressen.
Ich, Lea, bin ein zwischenmenschliches Chamäleon.
Wenn eine Lage für mich bedrohlich oder ungünstig erscheint, verändere ich mich peu a peu, so dass ich mich ganz gut hinein finden kann. Als ich bei den Lanes war, habe ich diese Fähigkeit wunderbar umgesetzt. Erst fand ich es bei ihnen grässlich. Jeder andere an meiner Stelle wäre sofort wieder ausgezogen, aber ich habe mir gesagt, dass die Unterkunft doch irgendwie praktisch sei, und dass man das Beste daraus machen kann.
Es hat eine Weile lang wunderbar funktioniert.
Doch häufig genug, das habe ich schon oft bei mir erlebt, staut sich, kaum merklich, eine innere Unzufriedenheit auf, die irgendwann nicht mehr unterdrückt werden kann, und ZACK, bekommen meine Mitmenschen sie unerwartet zu spüren. Bei den Lanes war der Verlauf sogar noch recht milde.
Und was ist jetzt mit Ethan und mir?
Schlimmes ist geschehen. Der arme Ethan, der sich anscheinend wieder beruhigt hat, ahnt noch nichts davon.
Ich erkenne auf einmal, dass ich Ethan zuliebe wieder einmal zum Chamäleon geworden bin. Ich habe so getan, als wäre ich klein, brav, unerfahren und durchaus lernwillig. Eine süße, kleine Mücke, so wie er mich mag.
Aber mit der wahren und wirklichen Lea hat das wenig zu tun. Ich habe die selbstbewusste, fröhliche Lea in mir herunter geknüppelt und ihr verboten, sich zu Wort zu melden, denn ich wusste die ganze Zeit, dass Ethan diese wahre Lea nicht mögen würde. Für mich machte das Sinn, denn ich hatte und habe panische Angst, Ethan – meinen Traummann – zu vergraulen.
Aber eines ist mir jetzt auch sonnenklar: Auf Dauer kann ich diese „Farbveränderung“ nicht durchziehen. Irgendwann fliegt meine Maskerade auf, denn sie ist wahnsinnig anstrengend, so wie das knifflige Computerspiel. Sie ist so mühsam, dass ich manchmal richtig geschafft, müde und auch traurig bin. Und das hat meine Umwelt mittlerweile gemerkt, jedenfalls diejenigen Mitmenschen, die mich wirklich kennen.
Ich sitze in einem ziemlichen Schlamassel, den ich mir selbst eingebrockt habe. Es gibt nur zwei Möglichkeiten:
Entweder, ich trenne mich sofort von Ethan und oute mich als Betrügerin, oder ich gewöhne Ethan liebevoll und sanft daran, auch einmal ein Kontra von mir zu erfahren.
Das Erste würde mir das Herz brechen, (Ethan vielleicht auch? Hoffentlich!), das Zweite müsste aber eigentlich funktionieren, wenn ich ganz sachte vorgehe, denn so viel Achtung habe ich schon vor Ethan, dass ich ihm zutraue, mit der neuen Lea so ganz allmählich klar zu kommen. Ich weiß, dass er mich auch liebt. Da wird er wohl verkraften können, wenn ich nach und nach ein selbstbewussteres Wesen an den Tag lege. Vielleicht deutet Ethan das auch positiv. Er könnte ja meinen, dass ich selbstbewusster und ihm ebenbürtiger werde, weil er mir so gut tut. Weil seine Nähe mich aufbaut. Wenn dann auch, sozusagen als Nebenprodukt, noch heraus käme, dass unser Sex noch ein klitzekleines bisschen besser würde, nämlich, dass Ethan sich auch ein wenig Zeit für mich und meine Bedürfnisse nähme, so dass es für mich noch angenehmer und befriedigender wäre, dann wäre alles perfekt.
Es müsste doch klappen.
Ethan achtet auf die Straße und weiß nicht, was für einen Plan ich gerade schmiede. Er tut mir leid. Ihn trifft ganz und gar keine Schuld. Er ist – einfach – Ethan. Er hat sich in eine Frau verliebt, die jünger als er ist und auch noch für ihr Alter so jung aussieht, dass man sie in den Pubs immer wieder nach ihrem Ausweis fragt. Er konnte
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