Verliebt in einen Gentleman
herunterrollen.
Vorsichtig tapse ich zum Fenster, schiebe die Gardine beiseite und schau hinaus.
Ich blicke in eine weite, unbebaute Landschaft hinein. Ich sehe gelbe, abgeerntete Stoppelfelder, die durch nichts unterbrochen werden, bis auf einige kleine dunkle Baumgruppen.
Einzig und allein eine malerische Windmühle kann man in der Ferne sehen. Ihre Flügel drehen sich sanft im Wind.
Ich seufze. Wie schön das alles aussieht!
Flink ziehe ich mich an und eile die Treppe hinunter. Es ist Sonntag. Ob meine Gastgeber wohl schon auf sind?
Tatsächlich.
Melissa hantiert in der Landhausküche an einem Monstrum von Herd, auf dem ich die Aufschrift AGA lese, und ihr Mann sitzt am Frühstückstisch und raschelt in der Times.
„Guten Morgen“, begrüßt mich Melissa, „magst du Ziegenjoghurt?“
Mag ich Ziegenjoghurt? Hm, eine gute Frage. Ich habe noch nie Ziegenjoghurt gegessen.
Zwei Minuten später sitze ich am Frühstückstisch und esse Ziegenjoghurt, und er ist der beste Joghurt, den ich jemals gegessen habe. Er ist kremig, sahnig und mild. Und schmeckt kein bisschen nach Ziege.
Ich sage das Melissa, die daraufhin lacht und sagt, „Das liegt daran, dass der Joghurt so frisch ist. Ich habe ihn erst gestern gemacht.“
Jetzt erfahre ich, dass diese erstaunliche Frau mit dem ansteckenden Lachen und dem ruhigen Ehemann, eine eigene Ziege hält, die sie regelmäßig füttert, betreut und melkt.
Das verblüfft mich. Wenn ich mich in dem Haus umsehe, wirkt alles so vornehm und gediegen. Eine Ziege in der Garage passt irgendwie nicht in das Bild.
Was für weitere Überraschungen warten hier auf mich?
Zum Beispiel der jüngere Sohn des Hauses, Edwin. Er ist zehn Jahre alt und besucht eine sogenannte Prepschool, die Vorbereitungsschule für eine der teuren und begehrten Internate, der Public Schools. Melissa erzählt, dass der ältere Sohn, Andrew, bereits auf das Internat geht. Er ist siebzehn Jahre alt und fast fertig mit seiner Schulausbildung. Linda, hingegen, besucht die Comprehensive School, in der ich ab morgen unterrichten werde.
Ich erkundige mich, warum Linda nicht auch auf das Internat geht.
Melissa entgegnet leicht verlegen, dass die Internate wahnsinnig teuer sind, und dass es nicht unüblich sei, die Jungen einer Familie auf ein Internat zu schicken, aber die Mädchen auf eine staatliche Schule, weil das eben preiswerter sei.
Na, denke ich mir, das ist wohl verständlich, aber keineswegs gerecht, sage aber nichts.
Aber jetzt zu Edwin.
Edwin freut sich, jemanden gefunden zu haben, dem er alles auf der Farm und in ihrer Umgebung zeigen kann.
Er nimmt mich in Beschlag, und gleich nach dem Frühstück muss ich ihn zum Nachbarhof begleiten, wo zwei Shire Horses auf einer Koppel stehen.
Ich habe noch nie solche großen Pferde gesehen. Sie sind einfach gewaltig. Schon der Kopf eines Shire Pferdes ist so groß wie ein mittelgroßes Schaf. Die Hufe haben einen Durchmesser wie von einer Tortenplatte. Ich halte vorsichtshalber Abstand zum Zaun.
Aber Edwin kennt keine Angst. Er greift den Tieren in die Mähne, tätschelt ihre Ohren und streichelt ihre Nasen.
Dann kehren wir zurück zur Farm. Das alte Bauernhaus liegt niedrig und windschief zwischen blühenden Stauden. Es ist verputzt und rosa angestrichen. Ich habe noch nie in einem rosa Haus gewohnt. Genau genommen habe ich auch noch nie ein rosa Haus gesehen, aber dieses Gebäude sieht so aus, als müsste es einfach rosa sein. Jede andere Farbe wäre falsch.
Ich folge Edwin in den Garten. Er scheucht die Gänse, die dort aufgeregt schnattern, beiseite und bringt mich in den hinteren, leicht verwilderten Teil des Grundstücks. Hier befindet sich übrigens jetzt die Ziege. Sie ist angepflockt und arbeitet zielstrebig daran, alles Gras, das sie erreichen kann, fleißig abzuknabbern. Als wir näher kommen, hebt sie ihren Kopf und mustert uns friedlich kauend, dann widmet sie sich wieder ihrer Nahrungszufuhr.
Edwin greift nach einer Schaufel und beginnt zu graben.
Ich stehe ratlos daneben. Was macht der Junge nur?
Edwin sagt schnaufend vor Anstrengung: „Dieser Hügel ist der alte Müllhügel dieses Hofes.“
Na toll, denke ich, und warum muss man ihn traktieren?
Doch Edwin ist unbeirrt.
„Dieses Gut ist nachweislich über vierhundert Jahre alt“, sagt er. „Du musst nicht meinen, dass es damals eine Müllabfuhr gab. Die Menschen haben alles in eine Mulde in den Garten geworfen. Das ist die Stelle, an der sie über die Jahrhunderte alles
Weitere Kostenlose Bücher