Verliebt in einen Gentleman
verlässt mich vor dem Lehrerzimmer. Ich stehe mit klopfendem Herzen da. Wie geht es weiter? Wen soll ich ansprechen?
Anscheinend stehe ich regelrecht im Weg herum. Jemand rempelt mich von hinten an.
„Whoops“, sagt eine Stimme, „sorry! Bist du neu? Weißt du nicht, wo dein Klassenzimmer ist?“
Ich drehe mich um.
Da steht ein Mann vor mir. Ich schwöre, dass ich ihn schon einmal gesehen habe, aber wie kann das sein? Wen sollte ich denn in Gatingstone kennen?
Dunkle Augen sehen mich fragend von oben herab an.
„Oder“, fragte er, „suchst du etwa wieder nach dem Türgriff?“
Jetzt fällt der Groschen bei mir. Befreit lache ich. „Nein“, sage ich, „nicht in dem Moment.“
Er runzelt die Stirn. „Also doch dein Klassenzimmer. In welche Stufe gehst du?“
Wieder muss ich lachen.
„Es scheint ein Missverständnis vorzuliegen. Ich bin gar keine Schülerin. Ich bin eine Lehrerin.“
Der Mann sieht mich verblüfft an. „Und das soll ich glauben?“
Gut, ich sehe schon noch ziemlich jung aus. Streng genommen, ist es ja auch noch nicht so lange her, dass ich tatsächlich noch eine Schülerin war, aber so toll finde ich es nicht, dass man mich hier anscheinend nicht ernst nimmt. Wie soll ich es dem Mann erklären?
Doch zum Glück eilt jetzt meine Rettung herbei. Ein älterer Herr in einem hellen Anzug mit grauen Schläfen und recht vornehmen Aussehen stürzt auf mich zu.
„Sie müssen Miss König sein“, sagt er, „ich habe Sie schon gesucht. Willkommen in unserer Schule! Haben Sie eine gute Reise gehabt? Sind Sie gut untergebracht? Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen das Lehrerzimmer der Sprachabteilung. Meine Kollegen freuen sich schon darauf, Sie kennenzulernen!“
Er nimmt mich beim Ellenbogen und führt mich weg. Ich werfe noch einen Blick über meine Schulter. Ich wollte doch so gerne noch wissen, wie der Mann heißt, der mir am Bahnhof geholfen hat, und was er hier macht. Aber er ist schon wieder verschwunden.
Mr. Henley, so heißt der „Head of Modern Languages“, bringt mich in ein kleines, separates Lehrerzimmer. Dort treffe ich die Kollegen des Sprachunterrichts.
Sie drücken mir die Hand oder nicken mir freundlich zu.
Bei der einen Lehrerin soll ich gleich mit in den Unterricht kommen, um den Betrieb kennenzulernen.
Und so finde ich mich wenig später in einem Klassenzimmer mit dreißig Kindern wieder, die alle in den Farben blau, gelb und hellblau gekleidet sind und sich große Mühe geben, der deutschen Sprache Herr zu werden.
Das Fernziel ist, dass ich im Laufe des Jahres auch ganze Unterrichtsstunden übernehmen soll und ganz alleine vor der Klasse stehe.
Nach dem Unterricht kehre ich mit der Kollegin in das Sprachlehrerzimmer zurück.
Mr. Henley scheint auf mich zu warten.
Neben ihm steht eine Mädchen mit sehr roten Wangen und glatten schwarzen Haaren, die zu einem Bubikopf geschnitten sind.
„Das ist Catherine“, sagt Mr. Henley. „Sie kommt aus der Bretagne und ist der französische Assistant Teacher.“
Ich sehe Catherine an und sie mich, und ich spüre, dass wir uns auf Anhieb mögen. Sie lächelt mich schüchtern an, aber gleichzeitig ist da Wärme und Freude. Es ist ja auch kein Kunststück; beide fühlen wir uns von Allem ein wenig überwältigt. Beide wissen wir noch nicht so richtig, was man von uns erwartet, und ob uns die Arbeit gelingen und behagen wird.
Mr. Henley, der sich offensichtlich für uns verantwortlich fühlt und sich Sorgen macht, ob wir uns wohlfühlen, merkt anscheinend, dass der Funke zwischen Catherine und mir schon übergesprungen ist.
„Na, dann können Sie sich ja schon mal kennenlernen“, sagt er erleichtert und eilt davon, um in die nächste Unterrichtsstunde zu gehen.
Catherine und ich setzen uns an einen der Tische und beginnen eine angeregte Unterhaltung. Sie erzählt mir von ihrer Heimat in einem Fischerdorf. Sie erzählt mir von ihren zwei Kusinen, die sie jetzt schon vermisst. Sie erzählt mir von ihrem Quartier im Dorf, ausgerechnet bei dem einen Dorfpolizisten und seiner Familie.
Ich erzähle Catherine von den Seafields und ihren Kindern.
Während unseres Gesprächs muss ich ab und zu schmunzeln, denn Catherine hat beim Englischsprechen einen ziemlich auffälligen französischen Akzent. Dort, wo im Englischen ein „H“ hingehört, lässt sie es weg, aber benutzt eins, wo es nicht hingehört.
So sagt sie: „Gleich soll ich mit in eine Oberstufenklasse“, sie blickt auf die Wanduhr, „in 'alf an
H-our.“
Ob
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