Verliebt in einen Gentleman
sich kurz, und Ethan und die letzten übriggebliebenen Kollegen gehen ihrer Wege. Ich schiebe meine Hände tief in meine Manteltaschen und schreite alleine die wenigen hundert Meter zum Walnut Cottage entlang.
Als ich angekommen bin, schließe ich die Tür auf und husche auf Zehenspitzen hinauf in mein Zimmer. Das Haus ist dunkel und es ist still, bis auf ein sonores, gleichmäßiges Schnarchen aus Abby und Glens Zimmer.
Ich liege nach zehn Minuten unter meinem Berg aus Laken und Decken. Kurz vor dem Einschlafen fällt mir ein, dass ich ganz vergessen habe, mir meine Wärmflasche zu füllen. Aber die brauche ich heute Nacht sowieso nicht. Mir ist so warm, als hätte ich Fieber.
Es vergehen ein paar Tage. In
dieser Zeit höre und sehe ich nichts von Ethan. Dabei drehen sich meine Gedanken jetzt ständig um ihn. Ich kann nicht vergessen, wie wunderbar sich seine Nähe an dem Abend im Pub angefühlt hat. Ich überlege sogar, ob ich die Initiative ergreifen sollte, und ihn aufsuchen, um mit ihm eine Verabredung zu machen. Wir waren doch an dem Abend sowieso kurz davor, oder?
Aber dann denke ich mir, wie peinlich es wäre, wenn er mir einen schlichten Korb geben würde. Das will ich mir lieber ersparen.
Stattdessen gehe ich tatsächlich zum Frisör. Es gibt einen einzigen hier im Dorf. Er befindet sich an der Hauptstraße. Der Laden ist winzig klein und hat nur Platz für zwei Kundinnen.
Die Friseuse ist eine junge, pummlige Blondine, die sich als Mandy vorstellt. Sie setzt mich vor einen Spiegel, lässt sich von mir erklären, was sie machen soll, und beginnt sofort mit einer hohen, piepsigen Stimme auf mich einzureden, wie man das halt eben von Friseusen erwartet. Ich muss wieder einmal feststellen, dass die Engländerinnen insgesamt mit viel höheren Stimmlagen sprechen, als die deutschen Frauen. Woran mag das liegen? Sind sie weiblicher und entsprechend weniger emanzipiert? Vielleicht wollen sie das durch die hohe Stimmlage betonen.
Mandy unterbricht meine Gedanken: „Du bist neu hier im Dorf, nicht? Du warst noch nicht bei uns.“
Ich erzähle ihr, dass ich für ein Jahr an der Schule unterrichte.
„Und – gefällt es dir?“
„Ja, sehr gut“, antworte ich.
„Jetzt sind ja bald Herbstferien“, sagt sie. „Fährst du dann zurück nach Deutschland?“
Sie hat recht. In einer Woche ist der „Autumn Break“. Es gibt eine Woche Ferien. Ich habe mir schon überlegt, ob ich nach Deutschland fahren soll. Catherine fährt solange nach Hause in die Bretagne. Es könnte einsam für mich werden. Andererseits lockt es mich nicht direkt heim. Meine Studentenbude ist besetzt. Meine Eltern sind lieb, aber ich mag es nicht, zu lange bei ihnen zu sein. Wenn ich länger bei ihnen bin, vergessen sie nach zwei Tagen, dass ich schon erwachsen bin. Dann geht es damit los, dass meine Mutter mich nicht aus dem Haus lässt, wenn sie sieht, dass ich keine Mütze habe. Mein Vater versucht mich in tiefe Gespräche über meine Zukunft zu verwickeln.
Ich sage der Friseuse wahrheitsgemäß: „Nein, ich möchte die Zeit nutzen, um mehr von England zu sehen. Ich habe mir schon überlegt, ob ich nach Cambridge fahren sollte.“
„Oh ja“, quiekt sie fast vor Begeisterung, „Cambridge ist wunder, wunderschön. Da musst du unbedingt hin. Ich weiß das, weil meine Schwester dort wohnt. Die besuche ich ab und zu. Cambridge im Herbst...ein Traum!“
Doch so einfach ist das nicht. Ich sage: „Leider wird es dort auch sehr teuer sein. Ich weiß nicht, ob ich mir das mit meinem knappen Gehalt überhaupt leisten kann.“
Die Friseuse runzelt ihre Stirn.
„Da hast du recht. Die Preise sind gesalzen, denn da fahren auch viele Touristen hin, eben weil es so schön ist.“
Schweigend schneidet sie weiter an meinen Haaren.
Plötzlich hält sie inne und sagt: „Es sei denn...“
„Es sei denn, was?“, frage ich.
„Es sei denn, du machst dir nicht allzu viel aus Komfort.“
„Tu ich nicht“, sage ich sofort.
„Dann könnte ich bei meiner Schwester anfragen, ob sie ein Eckchen für dich frei hat. Ich weiß, dass es in ihrer WG eine Abstellkammer gibt, in der ein Bett steht. Ich habe da auch schon mal drin geschlafen.“
„Abstellkammer“ klingt nicht allzu gut, aber ich nicke nur und sage: „Das wäre toll.“
„Okay“, sagt die unerschütterliche Mandy, „dann wollen wir nicht trödeln, sondern gleich anrufen.“
Sie legt die Schere und den Kamm unter dem Spiegel ab, fischt ein Handy aus der Tasche ihrer
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