Verliebt in einen Gentleman
Rose Cottage. Ich lösche das Licht und lausche noch ein wenig dem entfernten Autolärm auf der Main Road, aber schlafe schnell ein. Und das ganz ohne Wärmflasche, denn hier ist es ja geheizt. Welcher Luxus!
Im Lauf der restlichen Ferienwoche komme ich zu mehr Studienarbeit, als in den ganzen vergangenen Wochen bei den Lanes. Und dass, obwohl ich ausschlafe.
Morgens, wenn die Amsel im Garten ihr Lied anstimmt, gehört das Haus schon bald ganz und gar mir alleine. Nur im Halbschlaf registriere ich das Rauschen der Wasserhähne in den beiden Bädern, das eilige Auf-und-Ab der Füße meiner beiden Mitbewohnerinnen, während sie sich auf den Tag vorbereiten und das zweimalige Türknallen in sehr kurzem Abstand, wenn erst Alice und dann Maura zu ihrer Arbeit aufbrechen.
Dann strecke ich mich wohlig, drehe mich auf die andere Seite, ziehe die Decke über meine Ohren und schlafe weiter. Hier kommt keiner hereingeplatzt, um mich mit einer Tasse Tee zu „verwöhnen“.
Dann wird gemütlich gefrühstückt. Dabei lege ich mein Buch neben den Teller und lese. Irgendwann ziehe ich mich an und wende mich der Hausarbeit zu. Ich weiß den überaus günstigen Mietpreis meines Zimmers sehr zu schätzen. (Es ist schon ärgerlich: ich hätte ruhig die Woche weiter in Cambridge verbringen können, wenn ich gewusst hätte, dass meine finanzielle Situation Dank Alice bald rosiger aussehen würde.) Treu meinem Versprechen, leiste ich brav meine Arbeit im Haus ab. Dabei stehe ich vor einem reichen Betätigungsfeld. Bei meinem ersten Besuch bei Alice habe ich natürlich nicht kritisch in alle Ecken geguckt. Nun, aus „Hausfrauensicht“, erkenne ich, dass sie als berufstätige Frau eine Menge Arbeit liegen lässt. Also kremple ich meine Ärmel hoch und lege los. Ich fange bei dem kleinen Gäste WC im unteren Stockwerk an. Dabei wundere ich mich, ob der Sauberkeitsstandard in England nicht doch einen Zacken unter dem liegt, was bei uns daheim so üblich ist. Im Handwaschbecken hat sich eine kalkige Spur unter dem Wasserhahn gebildet, die so aussieht, als habe sie sich über ganze Jahrzehnte aufgebaut. Ich poliere und reibe mit Putzmittel und viel Ellbogenschmalz, bis sie ganz verschwunden ist und das Becken in neuem Glanz erstrahlt. Dann nehme ich mir die Toilette vor. Als Nächstes sauge ich alle Teppichböden in allen Zimmern. Jeden Tag suche ich mir eine andere Aufgabe, sei es das Bügeln der Bettwäsche, oder das Putzen der Fenster. Die Arbeit macht mir Spaß. Ich spüre, dass mein Kopf bei der physischen Betätigung frei wird. Ich fühle mich nicht mehr wie ein verwöhntes Baby, wie bei den Lanes, sondern wie eine selbstbewusste Erwachsene, die zu unserer Wohngemeinschaft beiträgt.
Am Freitag gehe ich einkaufen. Abends steht immer ein fertiges Essen für Alice bereit. Nur ein einziges Mal lässt sich Maura auch dazu herab, eine Kleinigkeit mit uns zu essen.
Alice ist von meinen Aktionen begeistert. Sie lobt meinen Fleiß und feuert mich dadurch zu weiteren Taten an, was eigentlich ganz klug von ihr ist.
Sie spricht offen aus, was ich mir heimlich gedacht habe: „Bei euch sind alle so gründlich und ordentlich. Wir können eine Menge von den Germans lernen. Hab ich es gut, dass ich dich als Mieterin an Land gezogen habe!“
Maura, die zufällig mithört, reagiert auf diese Aussage damit, dass sie das Gesicht verzieht und das Zimmer verlässt.
Zwischen ihr und mir fließt eine Menge negative Energie. Ich spüre, dass sie mich als Störenfried empfindet. Durch kleine Bemerkungen und Gesten signalisiert sie, dass ich hier nichts verloren habe, etwa wie ein Kuckuck, der sich im fremden Nest breit macht und die eigentlichen Bewohner verdrängt und herauswirft. Alles, was ich auf der Ablage unter dem Spiegel unseres gemeinsamen taubenblauen Badezimmers ablege, findet sich unten in der Badewanne wieder.
Andererseits habe ich auch den Verdacht, dass Alice mich gegen sie ausspielt. Gelegentlich lobt sie mich in Mauras Gegenwart so betont, dass man nur vermuten könnte, dass sie Maura eins auswischen will.
Trotz allem, fühle ich mich im Rose Cottage viel wohler, als bei den Lanes.
Am Freitagabend leihe ich mir Alices Fahrrad – mein anderes musste ich natürlich bei den Lanes lassen – und radle zu den Seafields. Melissa begrüßt mich mit offenen Armen und drängt mich, zum Essen zu bleiben.
Das tue ich nur zu gerne.
Als ich der Familie erzähle, dass ich umgezogen bin, beglückwünschen sie mich dazu.
„Nimm es mir
Weitere Kostenlose Bücher