Verliebt in einen Gentleman
nicht übel“, sagt Melissa, „aber ich hatte den Eindruck, dass dieses alte Ehepaar ein seltsamer Aufenthaltsort für eine Studentin ist, die Wert darauf legt, gutes Englisch zu sprechen.“
Ich reiße meine Augen weit auf. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht.
Melissa lacht über mein erstauntes Gesicht. „Doch, doch“, sagt sie, „so ist es. Bedenke doch, dass die Lanes einfache Leute sind – sie Köchin, er Lastwagenfahrer. Entsprechend ist ihr Englisch auch nicht gerade 'Queen's English'. Du hast dir dort eine Menge 'Glen-und-Abby' Ausdrücke angewöhnt. Merkst du gar nicht, dass du statt 'well' immer häufiger 'good' sagst, wenn du das Adverb meinst? Das geht überhaupt nicht. Und ich könnte dir noch eine Vielzahl weiterer Beispiele nennen.“
„Und warum hast du mir das nicht früher gesagt?“, frage ich.
„Nun“, sagt Melissa, „du schienst dort doch ganz vergnügt zu sein. Aber Lea, das bleibt natürlich unter uns. Ich möchte nicht, dass du mich jemandem gegenüber zitierst. Auch wenn das, was ich gerade gesagt habe, wahr ist, klingt es furchtbar versnobbt.“
Ich sage nachdenklich: „Selbst wenn ich mich im Streit von ihnen getrennt habe, fand ich es gerade so sympathisch, dass sie so einfache, bescheidene Leute sind. Ich finde, dass man in einem fremden Land ruhig alle Gesellschaftsschichten kennenlernen sollte, auch diejenigen, mit denen man normalerweise nicht privat zu tun hat.“
Morris sagt ironisch: „Du bekommst durch uns ebenfalls ein sehr tiefes Verständnis in die Welt der Eingeborenen. Wir sind Snobs mit Standesdünkel und meinen, dass unsere Nachbarn auf der anderen Seite des Ärmelkanals mit Pickelhauben herum rennen und ständig 'Achtung' schreien, wenn sie nicht gerade in Lederhosen und Dirndeln an Biertischen schunkeln.“
Ich sehe ihn ernst an. „Aber genauso ist es doch wirklich in Deutschland.“
Da lacht unsere ganze Tischrunde.
„Und wie war es in Cambridge?“, fragt Melissa jetzt.
„Wunderschön“, sage ich.
„Was hast du dort alles erlebt? Warst du in den Colleges?“
Morris sagt: „Schade, dass ich nicht mit da war. Als Fellow von Trinity hätte ich dich mit zum Master's Dinner nehmen können. Da hättest du Cambridge mal so richtig kennenlernen können. Ohne einen Besuch beim Master's Dinner hat man Cambridge nicht wirklich erlebt.“
Ich sage: „Oh doch, da war ich.“
Jetzt starren mich alle an.
„Wie? Du? Wie ist das möglich? Mit wem?“
Ich erröte und sage: „Einer der Kollegen von der Schule hat mich mitgenommen.“
Sofort lässt Linda ihre Gabel sinken, mit der sie gerade einen Bissen in den Mund führen wollte, und sagt streng: „Mit wem?“
Ich entgegne: „Ach, das tut doch nichts zur Sache. Jedenfalls war es toll.“
Aber Linda lässt nicht locker. „Es war Mr. Derby, nicht wahr? Sonst würdest du nicht so rot werden.“
Verflucht! Was soll das? Es geht sie doch nun wirklich nichts an.
Melissa bemerkt meine Verlegenheit und sie sagt: „Linda, es gehört sich nicht, jemanden so zu verhören.“
„Ich muss es wissen“, sagt Linda stur. „Einer muss ja auf Lea aufpassen.“
„Sehr witzig“, schaltet ihr Vater sich jetzt ein, „als ob du auf dich selber aufpassen könntest. Es geht uns wirklich nichts an, mit wem Lea sich wo trifft. Sie ist, im Gegensatz zu dir, eine erwachsene junge Frau und kann das selber entscheiden.“
„Mr. Derby ist voll das chauvinistische Arschloch“, faucht Linda, „Lea ist viel zu gut für ihn. Er wird sie nur unglücklich machen.“
Melissa wird jetzt energisch. „Linda, ich will solche Ausdrücke nicht hier an unserem Tisch hören.
Wenn Lea sich einen Mann zur Gesellschaft aussucht, bin ich überzeugt, dass sie eine gute Wahl trifft. Ich halte Lea für durch und durch vernünftig.“
„Danke, Melissa“, sage ich nur. Dann ändert jemand das Thema, und Ethan wird nicht mehr erwähnt.
Während ich mein Dessert löffle, frage ich mich, was nur in Linda gefahren ist. Wie kommt sie auf so eine unfreundliche Bemerkung über Ethan? Ob sie vielleicht ein klitzekleines bisschen eifersüchtig ist? Das könnte die Erklärung für ihren Ausbruch sein.
Am Samstag morgen sind Alice und ich bei unserem späten Frühstück alleine. Maura hat mit ihrem Freund auswärts übernachtet. Alice hat sich für meine viele Hausarbeit der letzten Tage revanchiert, indem sie uns ein „Cooked Breakfast“ gezaubert hat, komplett mit gedünsteten Tomaten, kleinen Sausages aus der Pfanne, pochierten
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