Verliebt in Hollyhill: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
der Finsternis. Ein kleines Kohlenfeuer brannte, Mr. Graham war wohl schon hier gewesen.
Mrs. Pratt brabbelte: »Es ist unsere Schuld. Wir sind spät.«
Sie schritt durch das Zimmer und begann damit, die Läden der insgesamt drei Fenster zu öffnen, was allerdings kaum etwas half. Es war nach wie vor finstere Nacht vor Travestor House. Emily unterdrückte ein Gähnen.
»Wo ist Becky?«, fragte Mary Wakefield. Es klang nicht gerade nett.
»Becky ist leider das Frühstück nicht bekommen«, erklärte Mrs. Pratt, die auf einmal einen sehr unterwürfigen Tonfall pflegte. »Sie hat sich ein paar Stunden hingelegt. Sicher wird sie heute Nachmittag wieder zu Ihrer Verfügung stehen.«
Es raschelte, dann schwang Miss Wakefield ihre Beine aus dem klobigen Himmelbett, stand auf und nach ein paar Schritten direkt vor Emily. Sie war in mehrere Lagen beigefarbenen Stoffes gehüllt, die gemeinsam wohl ein Nachthemd darstellen sollten.
»Und du bist?«, fragte sie.
Emily öffnete den Mund, da fuhr Mrs. Pratt auch schon dazwischen.
»Das hier ist Emily«, erklärte sie wichtig, »sie wird Ihnen beim Frühstück und bei der Morgentoilette behilflich sein.«
Emily versuchte einen Knicks.
Mary Wakefield hob das Kinn.
Sie war jung, höchstens zwanzig, und sie sah völlig anders aus als die kleine Millicent – dunkel, mit fast schwarzen Haaren, die sie für die Nacht zu einem dicken Zopf geflochten hatte. Ihr Gesicht war blass, beinahe durchsichtig, überhaupt nicht hübsch zu nennen, eher kränklich, und der herablassende Blick, mit dem sie Emily musterte, verbesserte diesen Eindruck nicht. Sie stierte mit den gleichen braunen Augen, mit denen Milly sie so herzerwärmend angelächelt hatte.
»Mein Morgenrock«, befahl sie, anscheinend nicht weiter zum Klagen aufgelegt.
Emily begriff nicht sofort, doch schließlich sah sie sich suchend um, nahm einen Schlabbermantel in Eierschalenfarbe, der über eine Stuhllehne geworfen worden war, und reichte ihn Miss Wakefield. Mrs. Pratt riss Emily den Umhang aus der Hand und half der Tochter des Hauses hinein. »Man weiß nicht, was die jungen Dinger dieser Tage lernen«, sagte sie spitz, »zu dienen jedenfalls nicht.«
Im Geiste verdrehte Emily die Augen. Was war das nur dieser Tage, dass alle Welt glaubte, sie müsse ihre Fähigkeiten als Servicekraft perfektionieren? Und was war bloß mit diesem Haus los, dass alle so unglaublich unhöflich waren?
»Und weiß sie«, fragte Mary Wakefield in süffisantem Tonfall, »wie wichtig die nächsten Tage hier in Travestor House sein werden? Die Vorbereitungen für die Hochzeit sind im Moment das Einzige …«
»Ich kann ihr davon erzählen, Mary!« Die Tür war aufgestoßen worden, und schon stand die kleine Milly vor ihnen und sah auf zu ihrer Schwester, dann zu Emily, dann zurück. Auch sie trug ein Rüschenhemd aus Leinen und eine kitschige Haube auf dem Köpfchen. Bei ihrem Anblick schmolz Emily dahin, Schwester Mary allerdings schaute strafend auf sie herab. »Warum schläfst du nicht?«, pampte sie. »Du solltest doch im Bett bleiben, bis Becky dich weckt.«
»Becky ist lahm.« Milly machte ein runzeliges Gesicht und sah dann zu Emily, die sich auf die Lippen beißen musste, um ein Lachen zu unterdrücken. »Ist sie die neue Becky?«, fragte Milly. »Darf sie mit mir spielen?«
Mary Wakefield seufzte. Mrs. Pratt zupfte nach wie vor an ihrem Morgenrock herum. »Geh und ziehe dir etwas über, Milly«, sagte sie. »Emily, decken Sie den Tisch. Mrs. Pratt, würden Sie wohl damit aufhören, an mir herumzuzerren! Sicher haben Sie in der Küche noch einige Dinge zu tun, damit wir alsbald mit den Bädern beginnen können.«
»Du musst erst das Wasser erhitzen«, flüsterte Milly, »du kannst doch nicht mit kaltem Wasser Tee aufbrühen.« Sie kicherte, hielt sich aber sofort eine kleine Hand vor den Mund. Mary Wakefield widmete sich vor dem Frisierspiegel dem Auskämmen ihrer Locken, während sie leise und schräg vor sich hinsummte. Ihre kleine Schwester war darum bemüht, sie nicht darauf aufmerksam zu machen, dass Emily keine Ahnung davon hatte, was von ihr in Sachen »Frühstück machen« erwartet wurde.
»Wasser erhitzen«, murmelte Emily, nahm den Kupferkessel in die Hand und sah sich suchend um. »Wasser erhitzen …«
Milly kicherte wieder. »Hier, du Dummchen«, wisperte sie, nahm Emily den Kessel aus der Hand und trippelte damit zum Kamin. Erst jetzt fiel Emily der gusseiserne Feuerrost auf, unter dem die Kohlen glommen und das
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