Verliebt in Paris: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
nicht eher wahrgenommen zu haben. Was war ich bloß für ein unaufmerksamer Vater?
Kaum war ich unterwegs zum Flughafen, da bereute ich es schon.
Wenn es nun keine Magenverstimmung war, sondern eine Lebensmittelvergiftung? Wenn sie nun bedrohlich dehydrierte? Daran konnte man sterben.
Und ich ließ sie in einem fremden Land allein? Was war ich bloß für eine Mutter?
Andererseits könnte Solange recht haben. Coco war achtzehn. Im Herbst würde sie im College ohnehin auf sich gestellt sein. Ich hatte ihr einen Haufen Geld dagelassen, eine Liste mit Telefonnummern, Tee, Saft, reichlich zu essen.
Und ja, sie war das verantwortungsvollste Kind der Welt. Ich hatte mir nie Sorgen um sie machen müssen – weder um ihre Schulnoten noch um ihre Freunde oder um Drogen. Wenn überhaupt, war sie zu vorsichtig. Mein Geldberater fand, diese Vorsicht sei bei Frauen weit verbreitet, insbesondere bei jenen unter uns mit deutlichem Hang zum Perfektionismus. Wir sollten lernen, Risiken einzugehen, sagte er, und unsere Töchter ermutigen, es ebenso zu halten.
Aber sie allein zu lassen – in Paris? Was dachte ich mir dabei? Und welchen Anteil an meiner Bereitschaft, sie einen Tag lang im Bett sich selbst zu überlassen, hatte mein verflixter Wunsch, endlich mal von ihr wegzukommen? Es fiel mir nicht leicht, das als Mutter zuzugeben, aber so war’s nun mal. Meine Tochter konnte mich nerven wie niemand sonst auf der Welt. Ihre Selbstgerechtigkeit. Ihre Scheinheiligkeit. Ihr aufbrausendes und besserwisserisches Gehabe.
Natürlich wusste ich genau, woher das alles kam: von mir. Es war das Höllische an der Elternschaft – dass man seine schlimmsten Eigenschaften bei jemand anders wiederfand. Und dann kam noch der Verdruss hinzu, sie bei seinem Kind ebenso wenig ändern zu können, wie man es bei sich selbst vermocht hatte.
Zumindest wusste Coco, was sie wollte. Sie wollte Psychologie an der Washington University studieren. Das würde sie auch tun. Aus ihr würde eine unerhörte Psychologin werden. Sie hatte keinerlei Hemmungen, Ratschläge zu erteilen, besonders mir. Mom, du zupfst dir übermäßig die Brauen. Mom, du bist so verklemmt. Mom, du musst endlich meditieren!
Gewöhnlich hatte sie recht. Und im Prinzip war es ja schön, dass sie Ziele hatte, die sie verfolgte. Sorge machte mir nur die Frage, ob sie glücklich war. Von allem, was ich ihr hatte beibringen wollen, war dies der eine Bereich, in dem ich gescheitert war. Gewiss, ich hatte ihr gezeigt, wie man gute Schulnoten bekam, was ihr hoffentlich einen guten Job bringen würde. Aber das Leben hatte mehr zu bieten als Arbeit, oder nicht?
Diese ärgerliche Schlagzeile kam mir wieder in den Sinn: »Was will Daisy Sprinkle?« Nancy meinte, ich bräuchte noch mehr Therapiestunden. Ich wusste, dass ich einen Kurzurlaub brauchte. Und eigentlich hätte ich am liebsten mal Urlaub vom Muttersein gemacht.
Es war nicht bloß die mangelnde Dankbarkeit. Damit konnte ich umgehen. Es waren nicht mal die grauenhaften Käsemakkaroni und lächerlichen Nuggets, auf die Kinder anstelle von richtigem Essen bestanden. Es war das Erdrückende am Muttersein. Das Erstickende, verbunden mit der Ablehnung. Es war schon ein schlechter Witz, sich am falschen Ende einer unerwiderten Liebesbeziehung zu eben jenem Menschen wiederzufinden, den man geboren hat.
Ich fand es schrecklich zugeben zu müssen, dass ich mal Pause davon machen wollte, aber es war ehrlich.
Als das Flugzeug abhob, zog ich mein Notizbuch hervor und ging meine Einkaufsliste durch: Butter, Zitronen, weißer Zucker, Puderzucker, Natron, Mehl, Schokolade, Vanille.
Zuerst hatte es Solange verwirrt, als ich erzählte, dass ich prädigitales Naschwerk auf ihrem Empfang reichen wolle.
»Wovon zum Teufel redest du?«, fragte sie, als sie bei Tagesanbruch anrief, um sicherzugehen, dass ich immer noch käme.
»Na, hast du nicht gesagt, es wäre eine Ausstellung von Künstlern, die in der postdigitalen Welt aufgewachsen sind?«
»Ja«, antwortete sie langsam.
»Schön, und zu genau diesem Zeitpunkt haben die Leute aufgehört zu backen«, erläuterte ich. »Alle sind viel zu beschäftigt. Alle sind entweder auf der Arbeit an einen Computer gekettet oder hocken zu Hause vor der Mattscheibe und irgendwelchen Videospielen.«
»Sag mir einfach, was du machen willst«, bat Solange. Sie klang beunruhigt.
»Klebbutterkuchen«, zählte ich auf. »Texanischen Blechkuchen. Roten Samtkuchen.
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