Verliebt und zugenäht!: Roman (German Edition)
Jung.
»Wie kannst du so etwas sagen? Immerhin habe ich deine Ausschweifungen über Jahre finanziert. Aber jetzt kann ich nicht mehr«, gab Emma kaum weniger laut zurück. So langsam bekam sie das Gefühl dafür, wie sie den einen oder anderen Satz möglichst effektvoll anbringen konnte. Das hörte sich alles schon ziemlich echt an, fand sie und freute sich sogar ein wenig auf morgen.
»Ach, sie kann nicht mehr«, brüllte Fanny zurück und wurde im selben Moment von einem Klingeln an der Wohnungstür unterbrochen. Sie warf Emma einen fragenden Blick zu, zuckte mit den Schultern und stand auf. Während sie zum Öffnen ging, vergaß sie jedoch nicht, ihren Text weiterzusprechen: »Und ich? Wie es mir damit geht, fragt auch niemand.«
»Dann mach doch endlich eine Entziehungskur. Und jammer nicht dauernd nur herum«, schrie die Enkelin ihr hinterher und hörte kurz danach Herrn Jungs Stimme: »Wie können Sie zu so später Stunde einen derartigen Lärm veranstalten?«
»Was heißt hier ›Lärm‹? Wir streiten uns nur«, gab die Großmutter locker zurück und störte sich offensichtlich nicht daran, was sie damit für einen Eindruck erweckte. Emma verließ die Küche und gesellte sich zu den beiden, um vielleicht wieder ein bisschen schlichten zu können.
»Könnten Sie sich dann eventuell ein wenig leiser streiten? Ich kann in meiner Wohnung jedes einzelne Wort verstehen.«
»Na und? Dann kommt bei Ihnen vielleicht endlich mal Leben in die Bude.« Fanny schien kein Problem damit zu haben, dass der Nachbar sie aufgrund des Textes für eine Süchtige halten musste, solange sie den Irrtum nicht aufklärte.
Der Oberstudienrat sah sie tatsächlich wissend an, so als wollte er sagen, dass er so etwas schon immer geahnt habe.
Emma dagegen wollte das nicht so gern auf ihrer Großmutter sitzen lassen und setzte an: »Entschuldigen Sie, Herr Jung, wir haben nur …«
Weiter kam sie nicht, weil Fanny sie sofort unterbrach und sagte: »Regen Sie sich ab. Wir sind jetzt leiser. Gute Nacht.« Damit schlug sie dem Nachbarn die Tür vor der Nase zu und grinste ihre Enkelin stolz an.
»Jetzt hält er dich für eine Alkoholikerin oder noch was Schlimmeres«, wisperte Emma, während sie wieder in die Küche gingen.
»Na und?«, gab Fanny zurück. »Dann hat er wenigstens mal was, über das er sich zu Recht aufregen kann. Mit seinen Pillepalle-Problemen geht er mir jetzt schon lange genug auf die Nerven. Leere Flaschen im Flur, schmutzige Schuhe, Lautstärke – wir sind doch hier nicht im Altersheim!« Sie schlug mit der Faust auf den Küchentisch und war jetzt richtig verärgert. »So, und jetzt machen wir deine Szene noch mal mit richtig viel Wut.«
Nach zwei weiteren Durchläufen, bei denen Emma genau darauf achtete, dass die Zimmerlautstärke nicht überschritten wurde, war die Großmutter endlich zufrieden und entließ ihre Enkelin nach Hause. Und die radelte so schnell wie möglich in Richtung Haidhausen, denn inzwischen war es fast elf, und am nächsten Morgen hatte sie schließlich einiges vor. Die Nacht wurde erneut ziemlich unruhig. Immer wieder wachte Emma auf, wälzte sich aufgeregt hin und her und konnte lange nicht wieder einschlafen. Entsprechend müde war sie am nächsten, dem endgültig alles entscheidenden Tag.
Irgendwie schien das ihr Schicksal zu sein – immer unausgeschlafen zu einem Dreh. Emma hätte sich ein besseres Los gewünscht, aber sie sollte ja, laut Horoskop, den Dingen ihren Lauf lassen. Also gehorchte sie der Vorsehung, fuhr brav zur Arbeit und bemühte sich, möglichst nicht an das bevorstehende Casting zu denken. Da es auf dem Bavaria-Gelände stattfinden sollte, hatte sich Emma am Tag zuvor freiwillig bereit erklärt, ein paar Kleider nach Grünwald zu bringen. Dann konnte sie auf dem Rückweg wunderbar einen Abstecher zum Vorsprechen machen, ohne dass irgendjemand etwas davon bemerkte.
Gegen Viertel nach elf versuchte sie vorsichtig, den Absprung zu finden: »Ich würde dann jetzt nach Grünwald fahren und die Lieferung abgeben.«
»In Ordnung. Und vergessen Sie nicht, Frau Schwab an die pünktliche Zahlung zu erinnern. Sie lässt sich immer gerne ein bisschen viel Zeit. Vergessen Sie das nicht!«
Emma versprach’s, packte die Sommerkleider ins Kreuzstich-Auto und rollte wie geplant vom Hof. Wenn sie gut durch den Münchner Verkehr kam, war sie gegen Viertel vor zwölf bei der Villa der Kundin und kurz danach auf dem Bavaria-Gelände. Jetzt konnte eigentlich nichts mehr
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