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Verliebt und zugenäht!: Roman (German Edition)

Verliebt und zugenäht!: Roman (German Edition)

Titel: Verliebt und zugenäht!: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Becker
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Neunzig-Sekunden-Tee für das gesamte Proletariat forderte, schreckte Emma schweißgebadet hoch und konnte erst einige Zeit später wieder einschlafen.
    Folgerichtig traf sie am nächsten Morgen vor dem Spiegel einige alte, aber wenig kleidsame Bekannte in ihrem übermüdeten Gesicht wieder. Sofort beschloss sie, die Rückgabe des geänderten Dirndls an die »Amtlichen Gefühle« heute großzügig jemand anderem zu überlassen. Denn in diesem Zustand konnte sie Jo nun wirklich nicht unter die kritischen Regisseursaugen treten. Zumindest, wenn sie den gerade geknüpften Kontakt zu ihm nicht sofort wieder aufs Spiel setzen wollte. Zudem war sie nach dem gestrigen Gespräch unsicherer denn je, was er nun wirklich über sie dachte. Vielleicht war Abstand in dieser Situation sowieso das Beste. Sonst bekam er am Ende noch das Gefühl, dass sie ihm nachlief, und das hätte vermutlich ihre Chancen endgültig ruiniert.
    Als nachmittags im Atelier die Frage aufkam, wer diesmal die Fahrt in den Münchner Süden antreten sollte, waren alle Augen wie selbstverständlich auf Emma gerichtet. Doch heute war sie darüber überhaupt nicht glücklich.
    »Mir geht es leider nicht besonders gut«, wandte sie kläglich ein, und das war nicht einmal gelogen.
    »Sie sehen tatsächlich nicht ganz gesund aus«, bestätigte auch die Chefin, »da wird Ihnen ein wenig frische Luft sehr guttun.« Dass sie damit keinen erholsamen Spaziergang im Englischen Garten meinte, verstand sich von selbst. »Fräulein Jacobi, Sie sind unsere Frau für ›Amtliche Gefühle‹. Teresa Schubert kennt Sie inzwischen und hat sich erstaunlicherweise auch noch nicht über Sie beschwert. Das muss Sie doch freuen.«
    »Wahnsinnig«, murmelte Emma kaum hörbar und betrachtete wieder einmal höchst interessiert ihre Schuhspitzen. Es war doch wirklich erstaunlich, mit welch unerschüt terlichem Erfindungsgeist die Stichsäge Begründungen fand, um ihre ungeliebte Mitarbeiterin aus der Werkstatt zu lotsen.
    Heute war allerdings in keinem Fall der Tag für Liebesmissionen irgendwelcher Art, das spürte Emma ganz deutlich. Erstens sah sie eher wie ein ramponiertes Kuscheltier aus als wie eine verführerische Lady. Und zweitens fühlte sie sich auch nicht danach, vor Jo die strahlende Schauspielerin zu geben. Sie war heute innerlich wie äußerlich auf Aschenputtel gepolt und deshalb tunlichst angehalten, sozusagen am häuslichen Herd zu bleiben. Also musste ihr jetzt sofort ein im wahrsten Sinn des Wortes »stichhaltiger« Grund einfallen, warum sie nicht in die Bavaria fahren konnte.
    Sie hob vorsichtig den Blick, und die Werkstatt und mit ihr die Kolleginnen verschwammen vor ihren Augen. Der Boden schien hin und her zu schwanken wie bei einem Schiff auf hoher See. Und gleichzeitig drehte sich das Frühstück mehrmals in ihrem Magen um. »Ich glaub, mir wird schlecht«, presste sie mühsam hervor und hielt vorsorglich die Hand vor den Mund.
    »Aber bitte nicht hier«, kommandierte die Stichsäge streng, »dafür haben wir ja schließlich Toiletten.« Sie gestikulierte mit dem nagellackverzierten Spinnenfinger in die entsprechende Richtung, als wollte sie einen Formel-1-Wagen durchs Ziel winken.
    Emma stürzte hinaus und schloss sich auf dem Personalklo ein. Natürlich war ihr nicht wirklich schlecht, allerhöchstens etwas unwohl. Doch das hätte kaum genügt, um die Chefin davon zu überzeugen, dass heute eine andere das Dirndl überbringen musste. Sie klappte den Klodeckel hinunter und setzte sich ratlos. Erst einmal Zeit gewinnen. Wie lange musste sie wohl hier bleiben, bis Frau Stich eine Kollegin mit der Aufgabe betraute?
    Kurz malte sie sich aus, wie sie den ganzen Tag und die Nacht ohne Essen und Trinken in der Toilette ausharrte, nur um nicht zu Jo geschickt zu werden. Sie sah die Chefin, die zusammen mit Mona und Jasmin vor der verschlossenen Tür stand und wütend dagegentrommelte, während sie selbst mit knurrendem Magen und trockenem Mund verzweifelt versuchte, in dem engen Raum eine bequemere Sitzposition zu finden.
    In diesem Moment hörte sie tatsächlich Monas Stimme vor der Tür flüstern: »Hörst du was? Hoffentlich ist sie nicht ohnmächtig geworden.« Die Klinke wurde gedrückt.
    Es half alles nichts. Noch länger konnte sie ihre Rückkehr nicht hinauszögern, ohne dass es auffiel. Sie musste sich jetzt sofort eine Notlüge ausdenken oder doch fahren. Also drückte sie zunächst die Spülung, öffnete dann die Tür und setzte ein leidendes Gesicht auf.

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