Verliebt und zugenäht!: Roman (German Edition)
anderen Eindruck erzielen konnte.
Beim Zubettgehen konnte es Emma kaum noch erwarten, bis sie sich am nächsten Tag nach der Arbeit endlich an die eigene Nähmaschine setzen konnte. Wenn sie schon bei der Stichsäge ihre Ideen nicht umsetzen durfte, warum sollte sie nicht wenigstens in den eigenen vier Wänden schalten und walten, wie sie wollte? Nachmachen und möglichst genau kopieren, das war gestern gewesen. Heute ging sie noch einen Schritt weiter und fühlte sich dabei unsagbar frei, selbstständig und stark.
In der Nacht träumte sie von einer großen Modenschau, deren Designerin sie selbst war. Unter tosendem Applaus holte man sie nach der Show auf den Laufsteg. Sie verbeugte sich, bekam Blumen überreicht, wurde unzählige Male fotografiert. Das Scheinwerferlicht blendete so sehr, dass sie die Augen ein wenig zukneifen musste. Aber wollte sie auf den Fotos der gesamten Tagespresse mit halb geschlossenen Lidern zu sehen sein? Krampfhaft versuchte sie, mit offenem Blick in die Kameras zu schauen, doch die Helligkeit wurde immer greller, schmerzte immer mehr, bis es schier unerträglich war.
Schweißgebadet schreckte Emma aus dem Schlaf hoch. Ihre Schläfen pochten, und der Puls raste wie ein Hamster im Laufrad. Erst als sie die Silhouetten der Schlafzimmermöbel wahrnahm, beruhigte sich ihr Herzschlag langsam. Sie ließ sich in die Kissen zurücksinken und lag danach noch lange wach. Was hatte dieser Traum bloß zu bedeuten? Was war denn falsch daran, die vorhandenen Kleider ein wenig nach dem eigenen Geschmack weiterzuentwickeln? Emma konnte nichts, aber auch gar nichts Sittenwidriges daran finden und sank über der Grübelei schließlich doch wieder in Schlaf.
Am nächsten Tag las sie, sobald sie im Atelier angekommen war, als Erstes das Wochenhoroskop in Jasmins Gala . Unter der Rubrik »Liebe« gab es für Fische nichts Besonderes. Doch bei »Beruf« war zu lesen: »Jetzt ist der Zeitpunkt, um Neues zu wagen. Lassen Sie sich von Rückschlägen nicht entmutigen, sondern überwinden Sie Ihre Ängste. Dann winkt Ihnen schon bald Erfolg auf der ganzen Linie.« Sollte sie tatsächlich eine Schauspielkarriere von besonderen Ausmaßen vor sich haben? War dies das Zeichen, dass sich ihr gesamtes Leben umkrempeln würde?
Mona sah ihr neugierig über die Schulter: »Neues wagen? Bei mir steht, ich soll mich auf Vertrautes besinnen.« Sie ging um den Tisch herum und setzte sich gegenüber auf einen Stuhl. »Dann mach doch du die Bluse nach dem neuen Schnitt, die mir die Stichsäge aufs Auge gedrückt hat. Du bist ja dafür wohl eher die Richtige.«
»Keine Chance!« Emma grinste und hielt ihre fast abgeschlossene Arbeit hoch. »Der Mantel muss unbedingt fertig werden. Die Müller kommt gleich zur Anprobe.« So weit ging ihre Schicksalsgläubigkeit nun auch wieder nicht, dass sie sich von Mona deren ungeliebte Arbeiten andrehen ließ.
Zwei Abende lang steckte, schnippelte und nähte Emma in ihrer heimischen Schneiderwerkstatt emsig vor sich hin, bis sie Scarletts orange-violettes Chiffonkleid nach ihren eigenen Wünschen umgestaltet hatte. Nicht einmal ein Anruf der Freundinnen konnte sie dazu bewegen, die Wohnung zu verlassen. Am Ende hatte sie nicht nur den luftig-lockeren Wasserfallkragen zu einem figurbetonten Oberteil mit großem, rundem Ausschnitt umgearbeitet, sondern die Armausschnitte mit einer zarten lila Spitze umrahmt, sodass das Kleid um einiges eleganter wirkte als das Original. Für Scarlett sicher nicht das Richtige, für Emma jedoch schon. Jetzt brauchte sie nur noch eine Gelegenheit, um das gute Stück zu tragen.
Zumindest konnte sie es jetzt schon einmal unter Ausschluss der Öffentlichkeit probieren. Schnell zog sie das fertige Kleid über und blickte in den Standspiegel. Nicht schlecht. Da sie einen hellen Teint und kurze Haare wie Charlotte Coleman hatte und auch nicht besonders groß war, war es das ideale Kleid für sie. Die Farbe stand ihr sehr gut, und der Ausschnitt betonte das Dekolleté. Stolz zog sie es wieder aus und stülpte es über die Schneiderbüste. Noch einmal zwei Schritte zurück. Perfekt!
Für eine Premiere des neuen Kleides kam natürlich nur Jo infrage. Und da der es vermutlich nicht genügend zu würdigen wüsste, musste Daniel in jedem Fall mit. Außerdem fiel es ihr bei ihm wenigstens ein bisschen leichter, anzurufen und zu fragen. Schließlich hatte sie Daniel keine Abfuhr erteilt. Trotzdem zitterten ihr am nächsten Mittag die Finger, als sie die Nummer des
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