Verliebt, verlobt, verflucht
Nacht. Natalie blickte von ihrem Zimmer im dritten Stock hinab auf die Straße, in der ein Junge mit blauer Schirmkappe die Zeitungen des Konkurrenzblattes des Stapers , Magama , anpries. Es war Nilo, Natalies bester Freund, der nach seinem Schulabschluss im letzten Jahr Arbeit bei Magama , dem Magazin am Abend, gefunden hatte. Nilo folgte ein kleiner, runzliger Minitroll, der einen Riesenpacken Zeitungen balancierte, von dem er aus der Vogelperspektive betrachtet fast völlig verdeckt wurde.
Natalie kicherte und beschloss, dass es wieder einmal Zeit war, Nilo zu ärgern. Sie blickte um sich und sah das verlassene Taubennest ihrer kürzlich verstorbenen Brieftaube, das ihr für ihr Vorhaben gut geeignet schien und das sie nun mit einem Tritt auf den Kopf des Jungen beförderte.
»Hey, Natalie, was soll das?«, beschwerte sich Nilo und sah wütend zu ihr auf, während er sich den Dreck von der Mütze schüttelte. Dabei kam sein strohblonder Haarschopf zum Vorschein. Natalie kugelte sich so sehr vor Lachen, dass sie beinahe vergaß, dass sie auf einem schmalen Fenstersims saß.
»Tut mir Leid, Nilo, aber ich konnte der Versuchung nicht widerstehen«, entschuldigte sie sich grinsend.
»Ich glaube, ich überlege es mir noch mal, ob ich dir die neueste Ausgabe der Misteria aushändige«, sagte er gedehnt und zog langsam ein goldenes, glitzerndes Magazin aus einer kleinen Umhängetasche. Diese war fast genauso schäbig wie seine Kleidung. Die Leinenhose wies Schmutzflecken auf, ebenso der ockerfarbene Mantel. Nur die blaue Schirmkappe, die er sofort wieder auf seinem Kopf platziert hatte, blitzte fleckenfrei.
»Nein, war nicht so gemeint«, schrie Natalie auf, als sie sah, dass es sich um ihre Lieblingszeitschrift handelte. Sonst musste sie sich diese immer heimlich kaufen, da ihre Mutter es nicht gerne sah, wenn ihr Mädchen solch unnütze Sachen las.
Nilo grinste schelmisch. »Na, wer kann jetzt wohl wen auslachen?« Er steckte das Magazin demonstrativ wieder ein.
»Nein warte, geh nicht fort, ich habe schon so lange darauf gewartet«, rief Natalie.
»Kostet vier Taler, weil du es bist«, schmeichelte ihr der Junge und sah schon die Münzen in seiner Hand klimpern, die Natalie gerade aus einem kleinen Samtsäckchen herauskramte und klirrend auf die Straße fallen ließ.
»Hey, das sind ja fünf.«
»Ein Taler ist für deinen Minitroll. Ich weiß doch, dass du ihn um seine Zeche prellst.«
Nilo gab sich empört: »Was du wieder von mir denkst ...«
Sein Minitroll grunzte und ein Lächeln durchzog sein unförmiges, teigiges Gesicht. Zum Dank verneigte er sich – und der gesamte Stapel Zeitungen fiel auf die Straße.
»Toll gemacht, Matschbirne«, fauchte Nilo den Minitroll an.
Natalie musste grinsen. »Du hast ihn Matschbirne genannt?«
»Als ob Schweinsnase ein hübscherer Name wäre«, verteidigte sich Nilo, und zu seinem Minitroll gewandt sagte er: »Heb die Zeitungen wieder alle sorgfältig auf, ja? Ich will keinen Knick und keinen Fleck sehen! Derweil werde ich mir mal dein Kitschblatt reinziehen.«
»Heee, das ist nichts für Jungs!«, beschwerte sich Natalie, doch Nilo hatte die Misteria schon aufgeschlagen und begann lauthals daraus zu zitieren:
» Klimpere ganz langsam mit den Wimpern und dein Angebeteter wird dahinschmelzen wie ein Honigbach. Oh, dieser Spruch ist noch besser: Schreite immer galant, und nur wenn dein Angebeteter zu dir blickt, wackelst du mit den Hüften. Ach du meine Güte, das erinnert ans Balzverhalten von Nashörnern. Nach aktuellen Umfragen die Nummer eins beim Kennenlernen: Lass einfach ein Taschentuch fallen, wenn dein Angebeteter in der Nähe ist. Sofern er gute Manieren hat und charmant ist, wird er es dir aufheben und dich vielleicht gleich um ein Date bitten. Hm, gar nicht mal so übel, aber oh, der hier grenzt fast an schwarze Magie: Drei goldene Federn überkreuzt gelegt, darauf ein Hühnerei zerbrechen und in das gelbe Dotter eine Muschel legen. Den Namen des Angebeteten aufsagen – und er wird sich noch im selben Augenblick unsterblich in Sie verlieben. Hey, funktioniert das eigentlich auch umgekehrt?« Nilo giggelte, wischte sich seine Lachtränen weg und blickte zu Natalie auf. »Im Ernst, Natalie, glaubst du diesen Humbug?«
»Nein«, schwindelte Natalie und errötete.
»Aber du bist verliebt und suchst Rat?«, versuchte es Nilo aufs Neue.
»Nein!«, sagte Natalie wahrheitsgetreu. Sie wusste ja nicht einmal, wie ihr Verehrer aussah.
»Aber jemand ist in
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