Verliebt verlobt Versace Roman
unter meinen Fingerspitzen. Es sollte alles immer noch aufregend und neu sein, die dampfenden Bürgersteige, der Verrückte, der sich vor Scottie’s Diner herumtrieb, der Lebensmittelladen unter uns, der rund um die Uhr geöffnet hatte, aber das Einzige, was mir dazu einfiel, war, dass wir keine Milch mehr hatten. Ein ganz zufälliger Gedanke, aber auch sehr tröstlich. Und ehe ich wusste, wie mir geschah, war mein Gesicht nicht nass, weil wir keine Klimaanlage hatten, sondern weil ich wieder zu weinen angefangen hatte. Bei dem Gedanken weinen musste, dass ich nie wieder im Rund-um-die-Uhr-Deli Milch holen würde. Gut, Angela, sagte ich mir und wischte die Tränen ab, gut gemacht, jetzt hast du aber ein wirklich neues und jämmerliches Niveau erreicht. Jetzt weinst du schon wegen Milch, und nicht mal über verschüttete. Sie ist noch nicht mal eingekauft.
Ich bückte mich, um meine Schuhe auszuziehen, und entdeckte das Foto von mir und Alex, das unter dem Bett hervorschaute. Wenn ich es mir jetzt genauer ansah, war selbst ich überrascht von dem Ausdruck in meinen Augen. Sah ganz nach heißer Liebe aus. Alex war schön, selbst auf diesem Guerilla-Schnappschuss, genau zwei Minuten nachdem er die Bühne verlassen hatte. Und ich konnte nicht anders, als festzustellen, dass auch er ziemlich glücklich aussah.
Mir Mark bildlich vorzustellen, fiel mir inzwischen hingegen schwer. Ich hatte zwar noch vor drei Wochen mit ihm zusammengelebt, aber angeschaut hatte ich ihn schon seit Monaten nicht mehr. Aber ich konnte jetzt meine Augen
schließen und jede einzelne Strähne von Alex’ Haaren vor mir sehen. Seinen ungesund starken Kaffee in seinem Atem schmecken. Ihn im anderen Raum vor sich hinsingen hören. Die Schwielen seiner Finger auf meiner Haut spüren. Aber er war weg. Und vielleicht war das auch die Angela auf den anderen Fotos.
Ich wäre also nicht Marks Angela, wenn ich nach London zurückging, und ich konnte auch nicht Alex’ Angela sein, wenn ich in New York blieb. Aber ich konnte jemand Neuer sein. Jemand, den ich noch nicht kannte. Und ich konnte losgehen und Milch holen. Es wäre ein Anfang.
»Ich bin völlig verrückt«, flüsterte ich aus dem Fenster. »Vollkommen durchgeknallt.«
Epilog
Es hatte drei Tage lang unentwegt geschneit, und New York lag unter einer wunderschönen Decke dicken weißen Schnees. Und Tag für Tag brach die Stadt auf und verwandelte den Schnee in Matsch. Und jeden Abend wurde ein neues Laken ausgebreitet. Über das Kreuzmuster der Straßen und Avenuen, hochgeschoben bis zum Park, als Überzug der Wolkenkratzer. Für einen Neu-New-Yorker war das atemberaubend. Aber so hübsch der Schnee auch sein mochte, ein Schock war er dennoch. Nach einem milden Weihnachtsfest mit schulterfreien Kleidern und vielen Partys jagte der Januar einem Angst ein. Und es hieß, oben im Norden sei es richtig kalt.
Ich saß in Jeans, einem Kapuzenpullover, fingerlosen Handschuhen und in UGG-Stiefeln an meinem Schreibtisch und tippte.
Im Raum.
Bei voll aufgedrehter Heizung.
Wirklich nicht leicht, in diesem Ambiente einen Artikel über Frühlingsgefühle zu schreiben. Zum Glück passte der DHL-Mann sich meiner verzögerten Arbeitsweise an und klingelte erst, als ich das Ding zum Abschluss gebracht hatte.
»Das hat nicht in den Briefkasten gepasst«, sagte er und reichte mir ein breites, flaches Päckchen in einer gelben Plastiktüte, »und es steht Eilsendung drauf.«
»Danke«, sagte ich und nahm lächelnd das Päckchen an und riss es auf. Da war sie, meine allererste UK-Ausgabe von The Look . Ich starrte einen Moment auf die Titelseite. Mit (nicht nur vor Kälte) zitternden Händen blätterte ich zum Impressum.
Da stand ich.
Mein Name, mein Foto und mein Titel.
Angela Clark, Auslandskorrespondentin, New York. »Ist sie da?«, schrie Jenny aus dem Badezimmer. Sie kam mit der Zahnbürste in der Hand und nur mit einem Handtuch bekleidet angerannt. »Ist das die Zeitschrift?«
»Sie ist es«, ich hielt sie in sicherem Abstand, »und du fasst sie nicht an, bevor du dich abgetrocknet hast.«
»Wieso, du hast doch mindestens zwanzig Exemplare gekriegt«, rief sie und deutete dabei auf die anderen drei Hefte in der Plastiktüte. »Ich raff es nicht, schau dich an! Du bist meine Heldin, Mädel.«
»Na mach schon«, sagte ich und verstaute die zusätzlichen Exemplare im Regal neben der J7-Ausgabe von The Look , in der meine Artikel bereits erschienen waren. »Sonst kommst du noch zu spät zur
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