Verliebte Abenteuer
Chamois mobil und ließ es Recherchen anstellen.
Erfolg: natürlich null!
Er besorgte Abschriften der Passagierlisten aller Schifffahrtslinien nach dem Kontinent an den fraglichen Tagen. Ein Lord Ashborne hätte geführt werden müssen.
Erfolg: null!
Mr. Fish tat also plötzlich etwas für seinen Vorschuß, wurde aktiv, wenn auch das, was er tat, nur Mumpitz war, Lady Abbot freilich lobte in heiliger Verblendung seine Bemühungen und baute vorläufig ihre ganze Hoffnung auf Mr. Fish.
Nach einigen Tagen kam ihr ein merkwürdiger Umstand zu Hilfe. Loretta Gower erschien bei ihr und war in bester Laune.
»Liebes Tantchen«, sagte sie fröhlich, »ich werde bald verreisen.«
»Du herzloses Geschöpf!« Mary Abbot geriet sofort in Erregung. »Jetzt, da der gute William verschwunden ist, da er sich in Verbrecherhänden befindet oder gar schon tot ist, willst du deinem Vergnügen nachgehen? Schäm dich!«
»Ich fahre nach Brighton, Tante.«
»Auch noch an die See! Ich verstehe dich nicht!«
»Ich gehe dort der Spur Lord Ashbornes nach.«
»Doch nicht in Brighton? Dann mußt du nach Paris!«
»So? Wer sagt dir das?«
»Mr. Fish.«
»Ach ja, dein Detektiv. Der muß es ja wissen.« Loretta lachte. »Nun, ich hingegen nehme an, daß sich William noch auf unserer alten Insel befindet, und zwar nicht als Toter, sondern als Quicklebendiger.« Sie dachte an Flip, der unten im Wagen wartete und sicher nur vor dem Augenblick Angst hatte, in dem Tante Mary an der Autotür erscheinen würde. Im übrigen hatte er sich wohl schon mit seinem Schicksal abgefunden und sah dem großen Knall mit Fassung entgegen.
»Hoffentlich hast du recht, daß er noch lebt.« Tante Mary betupfte sich die Augen. »Aber in England weilt er ganz bestimmt nicht mehr. Ein Lord Ashborne kann sich hier nicht so ohne weiteres versteckt halten.«
»Das will ich eben sehen. Deshalb fahre ich nach Brighton.«
»Du führst etwas im Schild«, meinte Tante Mary plötzlich mißtrauisch.
Loretta antwortete: »Der alte James bekam doch ein Telegramm, daß sich Lord Ashborne in Brighton aufhält. Im Hotel Sunshine. Aber dieses Hotel gibt es gar nicht. Auch gemeldet ist er in ganz Brighton nicht. Nur unter falschem Namen kann er sich also dort herumtreiben. Vielleicht suchte er wieder mal ein Abenteuer.«
»Dann hätte er sich inzwischen auf Grund der Zeitungsartikel gemeldet.« Mary Abbot schüttelte den Kopf. »Ihm ist etwas passiert!«
»Vielleicht will er sich nicht melden, aus irgendeinem Grund, den wir nicht kennen. Vielleicht – ist er verliebt und spielt eine Komödie.«
»Für so idiotisch halte ich ihn nicht.«
»Männer sind immer ein wenig verrückt, wenn sie hinter einer Frau her sind.« Loretta stand auf und gab Tante Mary die Hand. »Ich wollte dich bitten, Tantchen, in den nächsten Tagen – sagen wir in einer Woche – auch nach Brighton nachzukommen.«
»Bit du verrückt? Ausgeschlossen!«
»Es würde dir guttun.«
»Nein, nein, ich denke nicht daran!«
»Die Seeluft würde dich beruhigen, Tantchen.«
»Ruhig werde ich erst wieder, wenn ich über das Schicksal Williams Gewißheit habe.«
»Vielleicht finden wir ihn.« Loretta sah Mary Abbot listig an. »Ich habe so ein komisches Gefühl, daß uns in Brighton allerlei erwartet, du wirst sehen.«
Tante Mary rang mit der Versuchung und unterlag ihr. »Gut«, sagte sie seufzend, »ich werde kommen. Aber nur auf einen oder zwei Tage.«
»Vielleicht reicht das schon, Tantchen.«
Loretta verabschiedete sich von Tante Mary und ließ sich von dem aufatmenden Flip zurückfahren. William drückte kräftig aufs Tempo, um möglichst schnell aus dem Bereich seiner Tante zu entkommen. Mit weit über hundert Kilometer Geschwindigkeit raste er auf der glatten Straße dahin.
»Kennen Sie Lady Abbot auch?« fragte ihn Loretta während der Fahrt.
William zuckte zusammen. »Lady Abbot? Ja, Mylady. Sie kam ab und zu bei Lord Ashborne auf Invergarry vorbei.«
»Wie stand sich denn der Lord mit seiner Tante?«
»Soviel ich aus meiner begrenzten Perspektive sagen kann, gut.«
»Das haben Sie nett formuliert, Flip: ›aus Ihrer begrenzten Perspektive …‹«
William biß sich auf die Lippen und drückte das Gaspedal ganz durch. Der schwere Wagen schoß heulend über die Landstraße.
»Fahren Sie langsamer!« befahl Loretta. »Sie sehen doch, es regnet, die Chaussee ist naß. Oder wollen Sie uns beide umbringen?«
William gab darauf keine Antwort, befolgte aber natürlich Lorettas Anweisung.
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