Verlobt für eine Nacht
vor mehreren Jahren die Chance dazu gehabt und sie verpasst hatte. Ein anderer Teil war zutiefst erleichtert gewesen. Vor allem aber hätte sie am liebsten vor Enttäuschung aufgeschrien, weil sie sich so betrogen gefühlt hatte.
Verdammt. Eve hatte zwar gewusst, dass es nicht einfach werden und dass die Begegnung mit Leo erneut jene Empfindungen in ihr wachrufen würde, die sie auch nach drei Jahren nicht hatte verdrängen können, aber …
Um sich zu beruhigen, atmete sie einige Male tief durch, warf einen letzten Blick in den Spiegel und hob das Kinn. Immerhin hatte sie das Schlimmste nun sicher hinter sich. Sie wusste, wo sie stand, und würde sich nun einfach darauf konzentrieren, den Abend zu genießen. So schwierig konnte das ja nicht sein!
„Zwei Dinge darfst du nicht vergessen“, sagte Leo, als sie auf dem Weg in die Präsidentensuite waren. „Alles soll unbefangen und freundlich sein, und du darfst auf keinen Fall das Thema ‚Familie‘ ansprechen.“
Das ist mir sehr recht, dachte Eve. Leo wäre sicher alles andere als begeistert, wenn sie plötzlich anfangen würde, von Sam zu erzählen. „Was sollen die Söhne von Eric Culshaw und seiner Frau denn getan haben?“
„Hast du die Artikel darüber nicht gelesen?“
Eve schüttelte den Kopf. „Ich lese wohl nicht die richtigen Zeitschriften.“
„Und du besuchst offenbar auch nicht die richtigen Websites“, ergänzte Leo und erklärte: „Jemand hat einen Videofilm ins Netz gestellt, in dem man die beiden bei einer Party sieht.“
„Und auf der Party haben sie etwas Peinliches angestellt?“, fragte sie.
„Ja, das könnte man so sagen. Es war eine Partnertausch-Party.“
„Oh.“
„Genau, oh “, stimmte Leo ihr zu. „Noch schlimmer: Der halbe Unternehmensvorstand war in die Sache verwickelt. Eric Culshaw konnte es einfach nicht ertragen, dass all das, wofür er sein Leben lang gearbeitet hatte, durch den Schmutz gezogen wurde.“ Vor der Tür zur Präsidentensuite blieb Leo stehen.
„Bist du bereit?“
Wie sollte ich? dachte Eve und antwortete: „Ja.“
Als er ihre Hand nahm, war sie überrascht. Nicht von der Geste an sich, sondern davon, was es für ein schönes Gefühl war, seine Hand in ihrer zu spüren. Angesichts der Umstände war das wirklich erstaunlich.
„Du siehst wunderschön aus“, sagte Leo leise, den Mund so nahe an ihrem Ohr, dass sie seinen warmen Atem spürte, der ihr über die Haut strich und leidenschaftlich ihre Sinne zum Leben erweckte.
Es ist alles nur zum Schein, rief Eve sich schnell in Erinnerung, doch ehe sie sich versah, hatte Leo sie ein weiteres Mal geküsst. Diesmal waren Leos Liebkosungen so zärtlich und sanft, dass die Luft um sie golden zu schimmern schien. Eve löste sich von ihm und versuchte, ihre vielen verwirrenden Gefühle zu verstehen.
Es hat nichts zu bedeuten, ermahnte sie sich, als Leo klingelte. Es ist Teil der Farce, die wir diesen Abend aufführen. Sie durfte einfach nicht anfangen zu glauben, dass es sich richtig anfühlte, dass es echt war.
Nur einen kurzen Abend lang würde Eve so tun können, als liebte dieser Mann sie und sie ihn. Dann endete der schöne Traum, und sie würde wieder in ihr baufälliges Häuschen zu ihrem kleinen Sohn zurückkehren – und zwar allein. Das war die Realität. Das war ihr Leben.
Nun öffnete ein Butler die Tür und führte sie und Leo durch einen ziemlich beeindruckenden Eingangsbereich. Eve hörte das Klacken ihrer hohen Absätze auf dem auf Hochglanz polierten Parkettboden. Als sie in einen der deckenhohen Spiegel blickte und feststellte, dass der weibliche Teil dieses elegant-glamourösen Paars sie selbst war, dass Leo ihre Hand hielt und ihre Augen noch immer funkelten, konnte sie es kaum glauben.
Vielleicht brauche ich doch gar nicht so nervös zu sein, dachte sie. Vielleicht würde alles einfach glattgehen. Noch immer erschien ihr der Plan völlig verrückt und moralisch durchaus bedenklich, aber möglicherweise würden sie Leos Geschäftspartnern weismachen können, dass sie ein Paar waren. Zumindest hatte Eve zwanzigtausend gute Gründe, sich alle Mühe zu geben.
„Herzlich willkommen!“
Ein älterer Mann, den Eve aus der Zeitung kannte, kam auf sie zu. Eric Culshaw war deutlich gealtert, wie sie feststellte: Sein silbergraues Haar wurde an den Schläfen weiß, und auf seinen Schultern schien ein schweres Gewicht zu lasten. Angesichts des Skandals, der seine Welt erschüttert hatte, fühlte er sich vermutlich auch so. Er
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